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„Das wäre eine zweite Mondlandung“

Kalt Der Eispanzer der Antarktis schmilzt, der Meeresspiegel steigt und bedroht die Küstenlinien weltweit. Könnte man die Antarktis nicht einfach zum Industriegebiet machen und das Wasser dorthin zurückpumpen? Das „zeozwei“-Gespräch mit dem Klimaforscher Anders Levermann

Klimaforscher Anders Levermann Foto: Anja Weber

INTERVIEW Peter Unfried

zeozwei: Ist der Meeresspiegelanstieg so schlimm, dass wir Wasser auf die Antarktis pumpen und sie damit zum Industriegebiet machen müssen, Herr Professor Levermann, um Schlimmeres zu vermeiden?

Anders Levermann: Das muss die Gesellschaft entscheiden. Es gibt viele Gründe dafür und dagegen. Wir haben das nur jetzt erst einmal eisdynamisch durchgerechnet, damit wir von dieser Seite her auf festem Grund stehen.

Warum kommen Sie auf diese Idee?

Man könnte sagen, die Idee ist ein Ausdruck großer Sorge. Als Forscher sehen wir, wie wir mit dem Verbrennen von Öl, Gas und vor allem Kohle und dem daraus resultierenden Treibhauseffekt einen Anstieg des Meeresspiegels auslösen, der über Jahrhunderte anhält. So wie wir uns heute noch nach 2.000 Jahren an die Kulturleistungen der Antike erinnern, so werden kommende Generationen an uns denken – als an diejenigen, die den Anstieg der Weltmeere ausgelöst haben.

Große Sorgen haben viele, aber große Lösungen keiner.

Nun ja, eines Tages kam meine wirklich brillante Kollegin Katja Frieler einfach mit der Idee des Abpumpens ins Büro, und wir haben durchgerechnet, ob das überhaupt funktionieren kann. Ob das eine gute Idee ist oder nicht, müssen andere sagen.

Warum denken Sie so radikal?

Auch wenn wir den Ausstoß an Treibhausgasen rasch reduzieren, wird der Anstieg des Meeresspiegels noch über Jahrhunderte weitergehen, weil wir bereits so viel Energie ins System gepumpt haben. Die Ozeane reagieren nur mit Zeitverzögerung, weil sie eine solch ungeheure Masse an Wasser haben. Aber sie reagieren. Natürlich gilt weiter, dass wir die globale Erwärmung stoppen müssen, um den Anstieg des Meeresspiegels zu begrenzen. Aber völlig verhindern können wir diesen Anstieg nicht mehr, er ist bereits im Gange. Also geht es jetzt auch um die Bewältigung der Folgen.

Die Niederländer bauen längst Dämme.

Kluge Regierungen werden ihre Leute schützen, aber das wird teuer. Nicht so kluge Regierungen kriegen das nicht rechtzeitig mit, und dann wird es gefährlich. Vor allem aber gilt: Je reicher ein Land, desto eher wird es sich schützen können. Das heißt aber auch, dass die Ärmeren stärkere Probleme bekommen.

Deiche sind also etwas für Reiche?

Deiche bauen ist eine von zwei Möglichkeiten. Deiche bauen können wir. Aber Deichbau ist eine lokale und nationale Lösung. Jeder baut seine eigenen Deiche und bezahlt sie auch. Sobald man Fairness in die Debatte bringen will, muss man eine globale Anpassungslösung diskutieren. Ein solcher globaler Ansatz ist es, den Meeresspiegelanstieg einzufrieren – im übertragenen Sinne, aber auch ganz real. Man könnte zu diesem Zwecke Meerwasser auf die Antarktis pumpen.

Das hört sich nach Technologiewahnsinn an.

Tja, das wäre es wohl auch. Wasser auf die Antarktis zu pumpen, das kommt einem erst einmal sehr verrückt vor. Wenn man länger darüber nachdenkt, scheint es einem nicht mehr so verrückt. Und wenn man noch länger nachdenkt, wieder ein bisschen verrückter.

Halten andere Wissenschaftler Sie für irre?

Unter den Eisforschern gibt es eine angeregte, ganz normale akademische Diskussion über unsere Studie.

Was spricht dafür?

Die Antarktis ist unbewohnt. Es gibt genügend Platz, um das Wasser ins Zentrum des Kontinents zu pumpen, wo es gefriert und nicht mehr zum Meeresspiegelanstieg beiträgt. Es gibt Ökosysteme am Rand, aber praktisch nicht im Zentrum. Es gibt in der Antarktis unglaublich viel Windenergie, die man fürs Pumpen nutzen kann. Vor allem geht es um die Dimension des Projekts: Man kann damit die ganze Welt gleichzeitig schützen.

Anders Levermann

Jahrgang 1973, Physik-Professor für die Dynamik des Klimasystems an der Universität Potsdam. Forscht am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und an der Columbia University, New York. Er hat am UN-Klimabericht mitgeschrieben, für den der Weltklimarat 2007 den Friedensnobelpreis erhielt. Er kommt aus Bremerhaven und lebt in Berlin.

Wie würde man das konkret machen, das Wasser auf die Antarktis zu pumpen?

Der antarktische Eisschild ist bis zu vier Kilometer hoch. Man müsste an verschiedenen Orten an der Küste Pumpen installieren. Dafür müsste man auf die Ökosysteme an den Küsten schauen, um am wenigsten schädliche Plätze zu finden. Die Pumpen würden von Windenergie betrieben. Mit denen würde man das Wasser erst mal hochpumpen und dann wenigstens 700 Kilometer ins Landesinnere transportieren.

Das müssen riesige Pumpen sein.

Die größte Pumpe, die es derzeit gibt, ist die in New Orleans. Davon bräuchte man wenigstens 90, um den derzeitigen Meeresspiegelanstieg zu stoppen.

Und Windräder?

Rund 850.000. Das ist eine sehr, sehr grobe Abschätzung. Unsere Arbeit ging um die Frage, wie weit man das Wasser ins Landesinnere pumpen muss, damit es für tausend Jahre weg ist. Es ist keine umfassende Machbarkeitsstudie. Der große Energieaufwand, das ist meine Vermutung, wird für das Hochpumpen benötigt. Die Windkraftanlagen müssten zehn Prozent vom globalen Energieverbrauch produzieren. Das klingt erst mal irre. Es könnte aber nebenbei der Weiterentwicklung der Windenergie weltweit einen Schub geben.

Man muss jedenfalls die Antarktis mit 850.000 Windrädern vollstellen?

Ja, ob offshore oder onshore und in welcher Verteilung, das müsste man sehen. Ob man das eher im Landesinneren macht, wo es kein Ökosystem stört. Oder ob man die Windräder entlang der Rohre platziert. Dann würde man das Wasser in die Mitte pumpen und da als Schnee auf die Antarktis schneien lassen.

Wie eine Schneekanone?

Genau. Dann kann man besser kontrollieren, wo man es verteilt, denke ich.

Verdient man mit der Antarktis-Weltrettungsindustrie Geld oder muss man zahlen?

Der Aufwand wäre immens, das wäre eine zweite Mondlandung. Jemand muss das bezahlen, und jemand bekommt das Geld.

Wer?

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Auch das muss die Gesellschaft entscheiden. Die Beteiligung könnte zum Beispiel den bisherigen Emissionen der einzelnen Länder entsprechen. Je mehr jemand verursacht hat, desto mehr beteiligt er sich an der Lösung des Problems.

In Ihrer Studie heißt es, dass das Projekt keine Lösung sei, sondern eine Verzögerung.

Es ist eine Verzögerung um tausend Jahre, ja. Das kann man Lösung nennen oder nicht.

Geo-Engineering, also große technische Eingriffe in die Kreisläufe der Erde, sind umstritten. Manche politisch-kulturellen Milieus wollen davon nichts wissen und haben gute Gründe dafür.

Ich stehe allen Geo-Engineering-Dingen sehr kritisch gegenüber, die etwa die Sonneneinstrahlung manipulieren wollen oder zum Beispiel durch massive Eisendüngung im Ozean das Algenwachstum ankurbeln wollen, um auf diese Weise Kohlenstoff aus der Atmosphäre herauszuholen. Solche Eingriffe in Ökosysteme und die Klimadynamik sind riskant.

Kann man das ausschließen beim Antarktis-Projekt?

Das kann man nicht ausschließen. Wenn man Wasser aus dem Ozean wegpumpt, wird man Ökosysteme stören. Aber womöglich eben nicht mehr, als wir das an anderen Ecken der Erde tun. Mir geht es darum, die beiden Dinge gegenüberzustellen: die lokalen Schäden in der Antarktis und die vermiedenen Veränderungen an anderen Küsten. Dann muss man sorgfältig abwägen, was das kleinere Übel ist.