: Linke Domi-nanz sieht anders aus
Kommentar
von Erik Peter
Rot-Rot-Grün und die Zivilgesellschaft
Mit Rot-Rot-Grün bekommt Berlin die Regierung, die zu ihr passt. Die Stadt tickt einfach links. So oder so ähnlich hört man es in dieser Tage vielfach. Vielleicht ist da sogar etwas dran, doch die Zahlen mahnen zur Vorsicht. R2G vereinigt lediglich knapp über 52 Prozent der Wählerstimmen auf sich – linke Dominanz sieht anders aus. Im Vergleich zur Abgeordnetenhauswahl 2011 hat das linke Lager, einschließlich der Piraten, mehr als 12 Prozentpunkte eingebüßt.
Diese Erkenntnis ist wichtig, sowohl für die Parteien als auch für die Zivilgesellschaft. Für Erstere ist eine gewisse Demut angesagt; jedoch keine Mutlosigkeit, keine faulen Kompromisse und kein einfaches Weiterverwalten. Doch in alter SPD-Manier zu verharren, die Stadt als Beute und zivilgesellschaftliche Akteure als Querulanten zu betrachten, ist nicht mehr zeitgemäß. Der kommende Senat muss sich öffnen für die Stadtgesellschaft, so wie es Linke und Grüne vor der Wahl wortreich gefordert haben. Es braucht mehr öffentliche Foren, Raum für Bürgerbeteiligungen, eine umfassende Transparenz des Regierungshandelns sowie einen neuen Umgang mit Volksentscheiden, also niedrigere Quoren und Abstimmungen zu Wahlterminen. Dabei gilt auch: Eine Offenheit gegenüber Initiativen darf sich nicht auf jene beschränken, die den Parteien sowieso nahe stehen, sie muss für alle gelten. Nur dann kann ein rot-rot-grüner Senat seine Legitimität erhöhen und mit einer neuen Politik auch wirklich für die Mehrheit der BerlinerInnen sprechen.
Doch mit wohlfeilen Forderungen an die Abgeordneten ist es nicht getan, zu oft schon haben sich Parteien, insbesondere in Regierungsverantwortung, von der Basis entfernt – durch den Glaube an die eigene Kompetenz, Geschachere bei Kompromissfindungen oder vermeintlichen Sachzwängen. Regieren verändert allzu oft vor allem die Akteure.
Gefragt ist die Stadtgesellschaft also selbst. Erst recht, weil es keine Opposition im Abgeordnetenhaus mehr geben wird, die glaubhaft für Bürgerbelange eintritt, müssen sich Sozial-, Flüchtlings-, Verkehrs- und andere Initiativen selbst als Korrektiv begreifen. Sie dürfen nicht darauf vertrauen, dass ein linker Senat schon all die Probleme der Stadt lösen, alle Sorgen und Nöte der Bürger im Blick behalten wird. Noch mehr als bei der Großen Koalition gilt: Sich zurückzulehnen reicht nicht. Stattdessen muss gelten: jetzt erst recht.
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