Es geht um Beihilfe zum Mord in mindestens 3.681 Fällen

NS-Verbrechen Das Verfahren gegen einen Wachmann von Auschwitz gerät zur Farce

Richter Klaus Kabisch führt diesen Prozess offensichtlich nicht ganz freiwillig

NEUBRANDENBURG taz | Thomas Walther hat Rechtsgeschichte geschrieben. Der Anwalt hat vor Jahren so lange recherchiert, bis die Anklage gegen John Demjanjuk stand, den Gehilfen im NS-Vernichtungslager Sobibor. Demjanjuk wurde 2011 in München zu fünf Jahren Haft verurteilt. Anwalt Walther hat auch dafür gesorgt, dass heute auch die Wachmänner von Auschwitz verurteilt werden können, denen kein individueller Mord nachgewiesen werden kann. Nun ist er als Nebenklagevertreter ins Landgericht Neubrandenburg gekommen, er vertritt den Auschwitz-Überlebenden Walter Plywaski.

Der Angeklagte Hubert Zafke sitzt Walther gegenüber im Rollstuhl. Gerade hat Staatsanwalt Hans Förster die Anklage verlesen, die Zafke Beihilfe zum Mord in mindestens 3.681 Fällen vorwirft, begangen 1944 in Auschwitz. Da war der SS-Rottenführer als Sanitäter eingesetzt, um die Mordgesellen gesund zu halten. Zafke hat an diesem Tag zugehört. Gesagt hat er nichts.

Klaus Kabisch, der Richter, sitzt etwas erhöht am Stirnende. Ein ums andere Mal bürstet er den Oberstaatsanwalt ab. Es geht um die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten.

Es geht in diesem Verfahren schon immer um die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten. 2016 hat Kabisch deshalb eine Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt – das Oberlandesgericht (OLG) Rostock korrigierte ihn und ordnete den Prozess an. Dann sprach Ka­bisch dem Auschwitz-Überlebenden Plywaski das Recht zur Nebenklage ab – das OLG hob seinen Beschluss wieder auf.

Klaus Kabisch führt diesen Prozess also nicht ganz freiwillig. Binnen sechs Monaten hat das Gericht unter seiner Leitung gerade einmal vier Mal mündlich verhandelt, und immer ging es um Bluthochdruck, Herzbeschwerden und Demenz. Der Angeklagte ist an diesem Montag erstmals erschienen, vorher war er laut seinem Verteidiger Peter-Michael Diestel krank.

Heute sitzt ein medizinischer Sachverständiger im Gericht. Er hat bei Zafke eine leichte Demenz diagnostiziert, womit der eingeschränkt verhandlungsfähig wäre. Bei einer mittelschweren Demenz wäre er nicht verhandlungsfähig. Richter Ka­bisch verweigert die Verlesung des Gutachtens, wie es sonst üblich ist, und befragt stattdessen den Gutachter.

Zum Schluss der Verhandlung gestattet der Richter dem Nebenkläger, einen Antrag zu stellen, in dem dieser Kabisch als befangen ablehnt. Der habe nicht nur den Angeklagten zu Hause besucht und damit den Eindruck erweckt, nicht unparteiisch zu sein. Zudem habe er einen weiteren medizinischen Sachverständigen bestellt, der den Angeklagten noch nie gesehen habe. Und schließlich habe er eine Reise Walthers zu seinem Mandanten in die USA verweigert und darauf verwiesen, mit dem schwerhörigen Holocaust-Überlebenden könne man auch skypen. Die beiden anderen Nebenklagevertreter schließen sich Walthers Antrag an. Ebenso der Oberstaatsanwalt.

Eine Kammer des Landgerichts muss nun über den Befangenheitsantrag entscheiden. Richter Kabisch gibt sich in dieser Frage sichtbar fröhlich-optimistisch. Sollte Hubert Zafke vom Gericht Verhandlungs­unfähigkeit attestiert werden, so ist dagegen nur noch eine Beschwerde beim Bundesgerichtshof möglich. Doch so etwas dauert. Und Hubert Hafke wird in drei Wochen 96 Jahre alt.

Klaus Hillenbrand