: Erst kommt das Fressen und dann das Wahlergebnis
Weißrussland Parlamentswahl bringt ein Wunder: Zwei Oppositionelle schaffen es ins Parlament
Präsident Lukaschenkos Empfehlung
Essen war das Topthema bei den Parlamentswahlen am Sonntag in Weißrussland. „Wenn du keine Zeit für Sport findest, hör auf zu essen. Im Klartext heißt das: hör auf zu fressen“, offenbarte Präsident Alexander Lukaschenko den Journalisten nach der Stimmabgabe in seinem Wahllokal in Minsk. Er kam gut gelaunt und in Begleitung seines Sohnes Nikolaj. „Morgens dürfen es höchstens drei Eier und ein Kaffee ohne Zucker sein. Zu Mittag – eine vegetarische Suppe. Na gut, einem Mann sei vielleicht ein Stück Fleisch gegönnt, damit er seinen ehelichen Pflichten nachkommen kann. Abends – nur Quark! Dann brauchst du keinen Sport mehr zu treiben.“
Die Lebensmittelfrage hatte einen ernsten Hintergrund: Nach den bisherigen Regeln mussten Parlamentskandidaten die 50-Prozent-Hürde überspringen, um gewählt zu werden. Jetzt genügt die einfache Mehrheit, solange es eine Wahlbeteiligung von mindestens 50 Prozent gibt. Um diese zu gewährleisten, hat man Wähler mit üppigen Buffets und niedrigen Preisen gelockt.
Der Plan ist aufgegangen. 74,3 Prozent der weißrussischen Wählerschaft haben ihre Stimmen abgegeben, um 110 Abgeordnete zu wählen. Die meisten Neu-Parlamentarier sind Sportler, Leiter medizinischer Einrichtungen und Vertreter lokaler Verwaltungen.
Wahlbeobachter berichten von Fälschungen wie mehrfache Stimmabgabe. Kritisiert wurde vor allem, dass ein Drittel der Wahlberechtigten, und zwar Studenten, Militärs, Kranke und viele Staatsangestellte, ihre Stimmen vorab abgeben konnten. Dafür wurden fünf Tage vor der Wahl eingeräumt. Bis jetzt gibt es keine offizielle Bestätigung von Manipulationen. Sie wird es wohl auch, wie bei vorherigen Wahlen, kaum geben.
Immerhin sind nun aber zum ersten Mal seit 16 Jahren Oppositionelle ins Parlament Weißrusslands gewählt worden. Es sind zwei Frauen: Anna Konopatskaja von der Vereinigten Zivilen Partei und Jelena Anisim von der Gesellschaft der belarussischen Sprache. Bemerkenswert ist, dass die bis jetzt völlig unbekannte Anna Konopatskaja in ihrem Wahlkreis die bekannte Oppositionelle und Präsidentschaftsanwärterin bei der Wahl 2016 Tatjana Korotkewitsch überholt hat.
Konopatskaja verweigert jegliche Statements gegenüber Journalisten. Ihr Telefon ist abgeschaltet. Die Pressestelle ihrer Partei begründet Absagen dadurch, dass alle Medien gleich behandelt werden müssen und verweist auf eine Pressekonferenz, die für kommenden Dienstag angesetzt sei. Ob diese stattfinden wird, weiß keiner genau.
Aus dem Russischen von Irina Serdyuk.
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