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Glauben, Staat und Selbstbestimmung

RECHTSLAGEEine Religionsgemeinschaft, die Schulunterricht übernimmt, darf nicht fremdbestimmt sein

Wie viel Distanz zum türkischen Staat darf, wie viel muss das Land Niedersachsen von den muslimischen Verbänden verlangen, wenn es den Vertrag mit ihnen schließt? Antworten gibt das Gutachten des Kölner Staatskirchenrechtlers Stefan Muckel.

Kurz gefasst lauten sie: Die norddeutschen Landesverbände von Ditib haben sich dort, wo es drauf ankommt, vom türkischen Staat distanziert. Sowohl Schura als auch Ditib erfüllen alle Voraussetzungen von Religionsgemeinschaften. Und: Sie sind im Sinne der Religionsfreiheit selbstbestimmt, was zugleich die von CDU-Fraktionschef Björn Thümler erhobene Forderung einer vollständigen Staatsferne an Ditib als unstatthaft erscheinen lässt. Das Recht, Beziehungen zu anderen Staaten zu unterhalten, und sich, beispielsweise durch Finanzierung, von ihnen unterstützen zu lassen, ist Teil der Religionsfreiheit. Das zu unterbinden, wie Thümler will, wäre ein klarer Verstoß gegen den Kernbestand des Grundgesetzes. Thümlers Forderung ist insofern verfassungswidrig.

Umgekehrt kommt das Gutachten Muckels aber auch nicht, wie das Kultusministerium behauptet, „zum Ergebnis, dass es keine Anhaltspunkte für einen Einfluss ausländischer Staaten auf Ditib gebe“. Das wäre ja auch unseriös, denn der Dachverband Ditib ist eine Ausgründung der türkischen Religionsbehörde. Sein Vorsitzender ist der Religionsattaché der türkischen Botschaft, und dem „Bundesverband stehen verschiedene Möglichkeiten offen, um auf den Landesverband Einfluss zu nehmen“, heißt es bei Muckel. Aber das ist so lange kein Problem, „wie keine hoheitlichen Befugnisse auf fremde Staaten übertragen werden“, so das Gutachten.

Die hoheitliche Aufgabe, um die es hier geht, ist der schulische Religionsunterricht: Indem er sich für religiös neutral erklärt, bekennt der Staat auch die eigene Inkompetenz, sie zu lehren. Folge: Die Religionsgemeinschaften müssen ran. Sie müssen aber die Inhalte aus ihrer religiösen Überlieferung, ihren Schriften und ihrer Theologie, nicht jedoch von einer dritten Macht, wie etwa der Türkei, beziehen: „Ein fremdbestimmter Religionsunterricht ist von der Verfassung nicht vorgesehen“, heißt es daher bei Muckel.

Die norddeutschen Ditib-Verbände haben die inhaltliche Ausgestaltung und Organisation des Religionsunterrichts bereits 2012 auf eine Fachleute-Kommission übertragen, der „kein Amtsträger des Staates angehören darf“. Sehr detailliert ist Muckel der Frage nachgegangen, ob das auch umsetzt wird. Sein Ergebnis: Die Mutmaßungen über eine durch diese Anpassung nur vorgetäuschte Staatsferne „entbehren der näheren Substanz“. Es bestünden daher „unter dem Gesichtspunkt staatlicher Einflussnahme keine Bedenken“, Ditib Niedersachsen an der Konzeption des Religionsunterrichts mitwirken zu lassen. Aber auf nichts freilich sind Vorurteile und Ressentiments weniger angewiesen als auf nähere Substanz. Benno Schirrmeister

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