Kritik der Woche: Jan-Paul Koopmann über Birgit Weyhes Comic „Madgermanes“
: Herzerweichend nüchtern

Foto: Birgit Weyhe/Avant Verlag

Erinnerung sei eine läufige Hündin, schwafelt einer, die sich mal hier und mal dahin lege. Diese vermeintlichen „afrikanischen Volksweisheiten“ machen einem Birgit Weyhes Graphic Novel „Madgermanes“ zwischendurch doch irgendwann fast madig. Und man wundert sich auch. Schließlich erzählt Weyhe die Lebensgeschichten der rund 15.000 mosambikanischen GastarbeiterInnen in der ehemaligen DDR doch sonst so nüchtern, so einfühlsam und eben ohne grässlichen Ethnokitsch.

Es ist dann doch eine echte Erleichterung, zum Ende des Buchs zu erfahren: Der Erzähler aus Afrika hat sich ein blödes Sprichwörterbuch gekauft – weil das hierzulande doch so gut ankommt.

Weyhe, die ihre Kindheit in verschiedenen afrikanischen Staaten verbracht hat, lebt heute in Hamburg und lehrt das Comicmachen an der Hochschule für angewandte Wissenschaften. Da, wo die aktuellen Größen des Kunstcomicsegment studiert haben. „Madgermanes“ wurde auf dem Comicsalon Erlangen zum besten deutschen Comic gekürt, bereits vor Erscheinen mit dem Comicbuchpreis der Berthold Leibinger Stiftung.

Die Konzeption ist tatsächlich beeindruckend: Aus diversen Interviews mit echten Madgermanes, die unmittelbar nach der Wende von der Bundesrepublik ausgewiesen wurden, schafft Weyhe drei Kunstfiguren, die vom Leben in der DDR berichten. Das Kunststück: Obwohl sich ihre Wege immer wieder kreuzen und sie eine konstruierte Lebenserfahrung teilen, und obwohl die Figuren erklärtermaßen als Stellvertreter für eine riesige Menschengruppe herhalten, fallen sie nie zurück ins Klischeehafte.

Auch grafisch funktioniert „Madgermanes“ als hochkomplexes Spiel mit Symbolen: ethnischen einerseits und denen zweier sozialistischer „Bruderstaaten“. Es ist tatsächlich eine seltene Freude, einem Comic zu folgen, der zugleich als intime persönliche Geschichte funktioniert und noch dazu stellvertretend für eine fast vergessene Bevölkerungsgruppe und ihre Kämpfe steht.

Zurück in Mosambik mussten die Madgermanes feststellen, dass ihre einbehaltenen Lohnanteile verschwunden sind. Unklar an welcher Stelle. DDR, BRD, Republik Mosambik: Es wäre allen dreien zuzutrauen gewesen. Auch kamen sie nicht wie erwartet als im fortschrittlichen Europa geschulte Elite zurück ins Land, sondern galten als Bürgerkriegs-Drückeberger und waren in der DDR als unqualifizierte Hilfsarbeiter ausgebeutet statt ausgebildet worden. Birgit Weyhe hat darüber eine äußerst bewegende Geschichte geschrieben und zugleich bewiesen, dass die Möglichkeiten dokumentarischer Comics bislang längst nicht ausgeschöpft waren.

Birgit Weyhe liest „Madermanes“ auf dem Festival „9 Jahre Golden Shop“: 9. und 10. 9., ab 19.30 Uhr, Friese. Programm: www.thegoldenshop.org

Birgit Weyhe: Madgermanes. Avant Verlag, 2016, 240 Seiten, 24,95 Euro