piwik no script img

Im Westen nichts Neues

Film Regisseur Christian Schwochow findet: Es war nicht alles gut im „Westen“ (Mittwoch, 20.15 Uhr, Arte)

von Jens Müller

Manchmal kann man mit bestimmten Menschen einfach nicht und wundert sich, was andere nur an denen finden. Vielleicht ist es mit Filmen und ihren Regisseuren genauso.

Christian Schwochow wird seit seinem Filmhochschul-Abschlussfilm „Novemberkind“ mit Lob und Preisen überschüttet. Seine Stoffe entnimmt der auf Rügen geborene, in Leipzig und Ostberlin Aufgewachsene gerne der ostdeutschen Zeitgeschichte. Er hat das gefeierte Uwe-Tellkamp-Machwerk „Der Turm“ verfilmt; den Grenzern an der „Bornholmer Straße“ ein Denkmal dafür gesetzt, dass sie sich entschieden haben, das Feuer auf die sich am Grenzübergang versammelnde Menschenmenge nicht zu eröffnen; im Auftrag der ARD hat Schwochow die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe in einem Biopic porträtiert, in dem das Interesse und Verständnis des Regisseurs allein den Mördern und ihrer Perspektive zu gelten schien.

Vielleicht liegt es auch daran, dass, wenn man in Düsseldorf geboren und in der westlichsten Ecke des Westens aufgewachsen ist, manche mit einer DDR-Sozialisation einhergehenden Befindlichkeiten nur schwer nachvollziehen kann.

Nächster Versuch: Arte zeigt „Westen“, Christian Schwochows (Kino-)Verfilmung des Romans „Lagerfeuer“ von Julia Franck, in dem diese eigene Kindheitserfahrungen als DDR-Flüchtling im Notaufnahmelager Marienfelde im Westberlin der späten 1970er Jahre literarisch ver- oder auch nur bearbeitet.

Unvermeidlich ist, dass bei der Verdichtung von 400 Buchseiten auf 90 Filmminuten einiges an Handlung und Personal auf der Strecke bleibt. So ist nachvollziehbar, dass Schwochow das Multiperspektivische der Vorlage zugunsten einer Hauptfigur vernachlässigt: Nelly Senff (Jördis Triebel), die im Film mit nur noch einem Kind (Tristan Göbel) aus der DDR ausreist.

DDR-Nostalgie jedenfalls muss Schwochow sich nicht vorwerfen lassen. In der Szene, in der Nelly Senff sich an der Grenze vor den DDR-Beamten ausziehen muss, steckt die ganze Kälte, Unmenschlichkeit und Perversion dieses Systems. Wenn Nelly Senff bald darauf in Marienfelde ein Déjà-vu erlebt, wird die Aufforderung zum Ausziehen von der Ärztin immerhin mit „Ist nicht schön, muss aber sein!“ kommentiert – von Schwochow also relativiert.

Es bleibt aber dabei, dass der Zuschauer mit Nelly Senff feststellen soll, dass vieles im ach so freien Westen gar nicht so vollkommen anders ist.

Nirgendwo steht geschrieben, dass Protagonisten von Filmen exemplarisch sein müssen

Warum wird nicht einfach akzeptiert, dass sie private und nicht politische Gründe für ihre Ausreise hatte? Warum werden ihr in immer neuen Verhören immer wieder die gleichen Fragen gestellt? Weil sie aus Sicht des CIA-Mannes (Jacky Ido) kein normaler DDR-Flüchtling ist. Weil der CIA-Mann glaubt, dass der Vater von Nellys Sohn Alexej als sowjetischer Agent westliche Wissenschaftler angeworben hat. Weil er also glaubt, gute Gründe für sein Nachfragen zu haben.

Und weil das so ist, sind Nelly Senff (deren Spagat zwischen Selbstbehauptung und Verunsicherung Jördis Triebel übrigens super hinbekommt – wofür sie auch den Deutschen Filmpreis erhalten hat) und ihr Erleben nicht exemplarisch. Natürlich steht nirgendwo geschrieben, dass die Protagonisten von Büchern und Filmen exemplarisch sein müssen. Das wäre ja langweilig.

Trotzdem muss Schwochow aber doch auf irgendetwas hin­auswollen. Im damaligen „freien“ Westen wurde also auch verhört; konnte auch nicht jeder jederzeit in dem Beruf arbeiten, für den er ausgebildet war; gab es so furchtbar viele Stempel und Formulare und überhaupt: Bürokratie. Nicht genauso, aber doch ähnlich wie in der DDR. Viel ähnlicher jedenfalls als ein DDR-Bürger sich das in seiner utopischen Vorstellung ausgemalt hat. Aber sollte das alles sein, was uns Christian Schwochow hier sagen will? Vermutlich, hoffentlich nicht.

Menschen, mit denen man nicht kann, geht man am besten einfach aus dem Weg. Sollen die Schwochow-Filme in Zukunft also andere besprechen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen