piwik no script img

Immobilienprinzip des permanenten Wandels

Film Inzwischen geht es auch auf dem Berliner Immobilienmarkt heiß her, wie Andreas Wilckes Dokufilm „Stadt als Beute“ zeigt

Still aus die „Stadt als Beute“ über die Boomtown Berlin Foto: welt film filmproduktion

von Detlef Kuhlbrodt

Von London bis New York gilt Berlin wieder als „the place to be“, konstatiert der Filmemacher Andreas Wilcke. Und tatsächlich: Hatte es eine Weile so ausgesehen, als würde die Stadt schrumpfen, gibt es durch den Zuzug von Ausländern längst ein „positives Wanderungssaldo“: 2014 zogen 77.285 Deutsche nach Berlin, 75.996 verließen die Stadt. Bei den Ausländern hingegen zogen 97.287 nach Berlin, aber nur 61.463 aus der Stadt weg.

Mietwohnungen werden in Eigentumswohnung umgewandelt. Altmieter werden in die Randbezirke gedrängt, reiche Leute aus vielen Ecken der Welt kaufen sich Wohnungen. Oft auch gleich zwei: eine für die Rendite und eine andere, um ab und zu mal hier zu wohnen und sich schöne Kulturevents anzugucken. Das Geld ist gut angelegt; die Mieten und die Quadratmeterpreise steigen, vor allem, wenn man zuvor noch ein paar Euros in die Renovierung investiert hat. Die meisten Parteien reagieren mit Plakaten, auf denen sie versprechen, sich um die Sache zu kümmern.

Der Vorgang der Gentrifizierung ist schon seit den 80er Jahren aus New York gut bekannt. In Berlin hatte René Pollesch dazu 2001 ein Theaterstück gemacht. Aus dem Theaterstück wurde 2005 ein Episodenfilm von Miriam Dehne, Esther Gronenborn und Irene von Alberti. Nun hat sich der Dokumentarfilmer Andreas Wilcke des Themas angenommen. Auch sein Film trägt den Titel „Stadt als Beute“.

Vier Jahre lang hat Andreas Wilcke sozusagen Gentrifizierung gefilmt und unterschiedliche Akteure begleitet. Zum Beispiel Makler, Investoren, Kaufinteressenten und gefährdete Mieter. Es gibt in seinem Film Firmenpräsentationen, Scouting-Spaziergänge, Einzelinterviews, entmietete Mitbürger, die Bewohner eines unangekündigt sanierten Hauses in der Wisbyer Straße, einen gut gelaunten Wowereit bei einer Wahlkampfbootsfahrt im Gespräch mit besorgten Bürgern.

Viele Baustellen mit schönen roten Kränen. Im Zeitraffer entstehen neue Gebäude. Investitionsmakler erklären in Power-Point-Vorträgen an einem Beispielobjekt in Neukölln, wie sich Mieteinnahmen exponentiell steigern lassen.

Thomas Groth von der Groth Gruppe, „Ihrem Partner für Immobilien, Eigentumswohnung, Projektentwicklung, Projektsteuerung, Marketing, Vertrieb“ usw., erklärt, jede Stadt dieser Welt sei konzentrisch aufgebaut. „Wenn Sie einen Stein ins Wasser werfen, entstehen konzentrische Ringe. Wo der Stein reinfällt, ist es am teuersten.“ Jede Stadt sei so aufgebaut. Nur Berlin nicht. Berlin wäre eher so, „als hätte ich eine ganze Kekspackung reingeschmissen“. Das liegt an der früheren Teilung.

Reihe im Lichtblick-Kino

In der September-Filmreihe über den Kampf um unseren Wohnraum werden 6 Filme gezeigt, die sich mit dem Ausverkauf der Stadt, Verdrängung und dem Kampf dagegen auseinandersetzen:

Der Umsetzer“ (WA), „Mietrebellen“ (mit griechischen UT), „Die Stadt als Beute“ ab Donnerstag, 08.09. täglich (Neustart), „Betongold“, „Miete essen Seele auf“ und „Verdrängung hat viele Gesichter“. Die Filmvorführungen finden in Anwesenheit von AutorInnen, RegisseurInnen, FilmeditorInnen und MietaktivistInnen statt. Genauere Infos unter: www.lichtblick-kino.org

Ein amerikanischer Investmenttyp berichtet von seinen Klienten aus verschiedenen Ländern. Berlin sei so ähnlich wie das Swinging London von 1968. „Wachstum liegt in der Luft. Man kann es spüren.“

Auf der anderen Seite Altmieter, deren Wohnungen von potentiellen Käufern besichtigt werden. Zumindest können sie noch darauf hinweisen, dass bei ihnen nicht fotografiert werden darf. Andere sind verzweifelt über Kollateralschäden in ihren Wohnungen. Plötzlich sind die Fenster von Bad und Küche einer Mieterin zugemauert worden. Oder es gibt furchtbare Wasserschäden, weil nebenan gebaut wird.

Mieteraktivisten schimpfen mit Investoren. Der grüne Kreuzberger ­Exbürgermeister Frank Schulz sagt, das Land Berlin sei angesichts der ganzen Gentrifizierung bislang untätig geblieben. Michael Müller, der Regierende Bürgermeister und ehemalige Senator für Stadtentwicklung, sagt im Gespräch mit Gerd Nowakowski vom Tagesspiegel, die Politik könne nur mit Krücken helfen, mit dieser Situation umzugehen. Nowakowski erinnert daran, dass viele inzwischen mehr als die Hälfte ihres Einkommens für Miete berappen müssen. Müller sagt: „Was heißt das jetzt, Herr Nowakowski. Wie könnte eine Regelung aussehen?“

Auf Spaziergängen loben potenzielle Käufer und Investoren die Vielfalt der Stadt, die sie möglicherweise gefährden.

Manche Passagen sind durchaus komisch, wenn ein potenzieller Käufer sagt, sein geplanter Wohnungskauf sei natürlich gut dazu angetan, ein schlechtes Gewissen zu bekommen. Vielleicht sei das auch „skrupellos. Ich weiß es nicht. Da muss ich mich erst mit meiner Frau besprechen.“

„Wachstum liegt in der Luft. Man kann es spüren.“

Ein amerikanischer Investor

Ab und an gibt es leicht bedrohliche Ambientmusik, die sich Rudolf Moser von den Einstürzenden Neubauten ausgedacht hat. „Wandel ist kein Programm, sondern ein Prinzip“, steht als Sinnspruch an einer Baustelle.

Jemand berichtet von immer schnelleren Gentrifizierungszirkeln in anderen Weltstädten. Wenn alle reichen Leute in die In-Bezirke gezogen sind, sind sie nicht mehr interessant. Die Karawane zieht weiter.

Andreas Wilckes Film ist eher beobachtend und bleibt in der Gegenwart. Rückblicke oder Vergleiche mit der Wohnungsnot in den 80er Jahren in Berlin gibt es nicht. Vorschläge, wie sich die Situation verbessern ließe, werden nicht gemacht. Dass die Gentrifizierung auch für Arbeitsplätze sorgt, wird nicht thematisiert.

„Die Stadt als Beute“. Regie: Andreas Wilcke. Deutschland 2015, 82 Min. Berlin-Premiere am 1. 9., ab. 8. 9. in verschiedenen Kinos in der ganzen Stadt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen