Aktivistin über Brasiliens LGBT-Szene: „Wir kämpfen einfach um Respekt“

Ein Pride House soll zu Olympia die Geschlechterfrage sichtbar machen. Ein Gespräch mit der Koordinatorin Marcelle Esteves.

Auf einem Teppich in Regenbogenfarben tanzt eine verkleidete Person mit einer brasilianischen Flagge in der Hand

Gay Pride Parade in Rio im November 2015 Foto: dpa

taz: Marcelle, warum gibt es ein Pride House zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro?

Marcelle Esteves: An diesen Olympischen Spielen nehmen über 40 Sportlerinnen und Sportler teil, die sich als schwul, lesbisch oder trans verstehen. Es waren noch nie so viele, das ist olympischer Rekord. Ich finde, wir sollten jede Gelegenheit nutzen, um die Geschlechterfrage sichtbar zu machen. In Brasilien ist der Umgang mit Queer extrem scheinheilig. Und wenn jetzt alle über Olympia reden, dann gerne auch ein bisschen über uns.

Woher kommt die Idee?

Pride Houses gibt es seit den Winterspielen in Vancouver 2010, und nicht nur bei Olympischen, sondern beispielsweise auch bei den Panamerikanischen Spielen in Toronto. Es ist ein Treffpunkt, es gibt Veranstaltungen, Partys und auch einige Sportveranstaltungen – drüben im Parkgelände, dem Aterro do Flamengo. Hier wird das Haus von über zehn Gruppen getragen, die bekannteste ist vielleicht die Arco Iris Gruppe, die in Rio seit 23 Jahren aktiv ist.

Gehört das Pride House zum olympischen Programm?

Nein! Bisher – außer im russischen Sotschi 2014 – war diese Initiative immer Teil der offiziellen Organisation. Aber hier in Rio hat es nicht geklappt. Wir haben uns sehr darum bemüht, und trotz vieler Gespräche zeigte uns die Stadtregierung die kalte Schulter. Jetzt macht sie einige Veranstaltungen zu LGBT-Themen am olympischen Boulevard und wir machen welche hier im Pride House. Wegen des Streits bekommen wir auch keinerlei Unterstützung, es gibt keinen einzigen Sponsor. Alles wird von Aktivisten getragen, die einzige Einnahmequelle sind unsere Partys.

Werdet ihr bei dem ganzen Trubel in der Stadt überhaupt wahrgenommen?

Es sind schon einige Sportler vorbeigekommen, aber frag mich nicht nach ihren Namen. Auch Journalisten kommen. Ein Problem ist, dass wir nicht immer geöffnet haben, da haben sich schon einige beschwert, das müssen wir unbedingt ändern. Ärgerlich ist auch, dass die ursprünglich geplante Website nicht freigeschaltet wurde, obwohl das alles schon geplant war. Jetzt sind wir nur auf Facebook zu finden.

engagiert sich sowohl in der LGBT- als auch in der Schwarzenbewegung. Sie ist eine der Koordinatorinnen des Pride House.

Und warum bist du beim Pride House dabei? Was ist dir wichtig?

In Brasilien gibt es leider noch einen weiteren Rekord: Wir sind weltweit Nummer eins, wenn es um Morde an Menschen aus dem LGBT-Umfeld geht. Wer offensiv mit seiner Sexualität umgeht, wird eigentlich automatisch AktivistIn, wie ich. Mir geht es aber nicht nur um LGBT, sondern auch um Rassismus und die soziale Frage. Viele von uns kennen diese drei Probleme, diese drei Diskriminierungen. Es ist nicht einfach, damit zu leben, und wir kämpfen einfach um Respekt.

Dieses Pride House findet in der „Casa Nem“ statt. Was passiert hier sonst?

Die Casa Nem entstand als Ort, an dem LGBT-Leuten und Straßenbewohnern Kurse angeboten wurden. Oft ganz einfach Nachhilfe, denn vor lauter Diskriminierung schaffen viele keinen Schulabschluss. Hier wollen wir uns gegenseitig stärken und andere unterstützen. Es ist eine Art Hausbesetzung, viele Häuser in dieser Straße verfallen. Oben wohnen ein paar Mädels, hier unten laufen die Aktivitäten.

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