Ich hatte Angst um meinen Bruder

Foto: imago

Rio fehlt mir. Nicht nur als Bruder, sondern auch als Freund. Wir hatten witzige Unterhaltungen, haben viel zusammen gelacht. Rio hatte so einen besonderen Wortwitz, den man schlecht erklären kann. Zynisch oder ironisch war er nicht. Für mich war er ein toller Gesprächspartner, mit dem man gut über Politik und Musik reden konnte.

Als Rio starb, war ich fix und fertig. Ungefähr so, als würde den eigenen Kindern etwas zustoßen. Wir drei Brüder – Peter, Rio und ich – hatten künstlerisch viel zusammengearbeitet, vor allem in den späten Sechzigern, als wir mit „Hoffmanns Comic Teater“ gemeinsam aufgetreten sind.

Wir hatten sehr liberale Eltern. Unsere Mutter Erika war sogar stolz drauf, dass alle ihre Kinder Künstler wurden. In der Familie herrschte nie eine böse Atmosphäre, wir haben offen über alles gesprochen. Das lag sicher auch daran, dass unsere Eltern keine Nazis gewesen waren. Sie gehörten der Bekennenden Kirche an, die sich im Dritten Reich gegen das NS-Regime gerichtet hatte.

Ich hatte schon oft Angst um meinem Bruder. Wir führten ja alle in den 60er und 70er Jahren kein gesundes Leben. Die Mischung aus Trips, Joints und Alkohol war ja nicht ungefährlich, zumal uns allen die nötige Erfahrung bei dem Umgang mit diesen Drogen fehlte. Mit der Liebe hat Rio, glaube ich, zeit seines Lebens am meisten gekämpft. Vielleicht war das Unglück in der Liebe seine Triebfeder. Damals gab es ja auch den Paragrafen 175 noch. In der Ton-Steine-Scherben-Kommune war es sicher kein Problem, wenn Jungs miteinander ins Bett gingen – in der Öffentlichkeit outeten sich aber die wenigsten.

Familiensorgen

„Wir führten kein gesundes Leben. Die Mischung aus Trips, Joints und Alkohol war ja nicht ungefährlich, zumal uns allen die nötige Erfahrung bei dem Umgang mit diesen Drogen fehlte“

Gert Möbius, Rios Bruder

Als ich das schwarze Album der Scherben zum ersten Mal gehört habe, habe ich geweint. Vielleicht war es kommerziell gesehen ein Fehler, das Cover ganz in Schwarz zu halten, ich habe es damals gestaltet. Aber ich dachte: Die Musik soll für sich stehen. Das Album basiert auf 22 Tarotkarten, die die Scherben-Mitglieder zu Songs inspiriert haben. Es war das erste kollektive Album, bei dem wirklich alle mitgewirkt haben. Das Konzept hinter dem Album war genial, es entstand eine ungeheure Kraft.

Gert Möbius, Rio Reisers Bruder, ist Drehbuchautor und Labelbetreiber. Er hat die soeben erschienene Biografie „Halt dich an deiner Liebe fest. Rio Reiser“ (Aufbau Verlag) verfasst