Autobiografie einer Kommunistin: Gnadenlos ehrlich

„Die kollektive Dimension liegt außerhalb des eigenen Horizonts“ – über die Kommunistin Luciana Castellina und ihre „Entdeckung der Welt“.

Luciana Castellina verschänkt die Arme

Luciana Castellina (Archivbild aus dem Jahr 2011) Foto: Imago / Leemage

Noch vor ein paar Jahren hätte man ein Buch, das mit der Sehnsucht nach einer kommunistischen Partei ausklingt, wohl links liegengelassen.

Insofern ist es gut, dass in Europa zwar Waren und Dienstleistungen just in time ausgetauscht werden, Gedanken jedoch – widerständige zumal – sich gern ein paar Jahre Zeit lassen: Luciana Castellinas Memoir „Die Entdeckung der Welt“ – das an den mythischen PCI, die Kommunistische Partei Italiens, erinnert – ist im Original bereits 2011 erschienen. Damit teilt es das Schicksal eines anderen Buchs der Stunde, Didier Erbons „Rückkehr nach Reims“, das für die tausend Kilometer von Paris nach Berlin mehr als sechs Jahre brauchte.

Und es ist ebenjener Eribon, der im Interview mit der Zeit kürzlich ganz zaghaft von einer neuen linken Partei zu reden wagte, die „für die Rechte der Arbeiterklasse genauso einstehen würde wie für die Rechte der LGBT-Community, der ethnischen Minderheiten und all der anderen“, einer sozial radikalen Partei, die die Sorgen der Zurückgelassenen ernstnimmt, ohne die Errungenschaften individueller Emanzipation der letzten Jahrzehnte auch nur ansatzweise auf dem Altar der Anbiederung an ebenjene, teils rassistischen und homophoben, Zurückgelassenen zu opfern.

Für die 1929 in Rom mit einem großbürgerlich-jüdischen Familienhintergrund geborene Luciana Castellina fiel alles in einem großen historischen Moment zusammen: Erwachsenwerden, Niederlage des Faschismus, Eintritt in die Kommunistische Partei, und zwar eine sehr römische Abteilung, die dem strikt arbeiterklassenorientierten PCI Norditaliens reserviert begegnete.

Luciana Castellina: „Die Entdeckung der Welt“. Laika Verlag, Hamburg 2016, 216 S., 21 Euro

Aus den Vorstädten Roms

In Rom agitiert die Jurastudentin dort, wo Pier Paolo Pasolini später seine literarischen und filmischen Entdeckungsreisen startet: In den „borgate“ des Proletariats, den slumartigen Vorstädten Roms, wo der Pfarrer die weiblichen Schäflein in die Kirche läutet, damit sie nicht mit jungen Kommunistinnen diskutieren.

Luciana Castellina ist eine gnadenlos ehrliche Beobachterin ihrer selbst wie all des Neuen, das sie so begeistert, wie es sie manchmal überwältigt. Über die Gleichaltrigen aus der Peripherie schreibt sie: „Sie sind so anders als wir, dass es uns peinlich ist.“

An anderer Stelle erwähnt sie, wie schwer es nach 20 Jahren Faschismus auch den Gutwilligen fällt, sich zu organisieren, „die kollektive Dimension – das Politische – liegt außerhalb des eigenen Horizonts“.

Vom Anfang vom Ende des Faschismus erfährt das 13-jährige Mädchen Luciana bei einer Tennispartie mit einer Schulkameradin: Ihr Name ist Anna Maria Mussolini, sie muss das Spiel abbrechen, weil ihr Vater verhaftet worden ist, am 25. Juli 1943. Die Kommunistin Luciana Castellina schämt sich ihrer bürgerlichen Herkunft und versucht dieses Bewusstsein über linientreue Militanz auszugleichen, so lange, bis sie die Haltung ihrer Partei zum Prager Frühling nicht mehr mittragen kann – und ausgeschlossen wird.

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