: Meine, deine, unsere Straße
Rumhängen Sommer in Berlin, und die Stadt wird zum Wohnzimmer. Vor ein paar Jahren noch war auch unsere Autorin an der Straßenecke oder auf dem grauen Stromkasten anzutreffen. Heute beobachtet sie wohlwollend die anderen
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Text Manuela HeimFotos Rolf Zöllner
Ist schon ein paar Jahre her, dass ich den Satz zum ersten Mal gehört habe. „Kommt, wir cornern.“ Das war noch in Sachsen und klang deshalb besonders schön. Gemeint war damit: an der Ecke treffen und rumhängen, mit einem Kaltgetränk von zu Hause oder vom Späti. Auf dem grauen Stromkasten, irgendwer hatte auch einen Sessel mitgebracht. Was zu essen vom Vietnamesen, bisschen Gitarrengeschrammel. O. kommt vorbei, er hat ein Hochrad gebaut, ein Rad auf einem Rad, wer will, kann eine Runde mitfahren. Irgendwie war das schöner als im Park oder im Hof oder im Club oder im Biergarten. So unmittelbar, so als gebe es nicht meins oder deins und Wohnung oder Straße. So als wäre die Funktion des Raums nicht vorgegeben von Vermietern, Eigentümern, Gewerbetreibenden, Stadtplanern, dem Ordnungsamt. Manchmal war „unser“ Stromkasten schon von anderen besetzt. Das war dann blöd.
Kollegin S. schwärmt auch vom Cornern. „Früher in den Neunzigern, in Prenzlauer Berg.“ Offenbar wurde da heftigst gecornert. Und offenbar ist das jetzt anders, weil die teuren Wohnungen und hermetischen Höfe so schön sind, dass auf der Straße rumhängen einfach keine Option mehr ist. Erzählt die Kollegin.
Da wo ich inzwischen wohne, muss das anders sein. Vor meinem Haus sitzt immer einer und zeichnet oder schreibt, trinkt Bier und beobachtet die Leute. Drei Straßen weiter hockt häufig eine Mutter mit ihren Kindern. Die von den Hausprojekten haben eh das Wohnzimmer nach draußen verlegt. Manchmal auch die Toilette. Das gefällt nicht jedem, ist es doch „unser aller Gehsteig“.
Und dann gibt es noch die, die finden: Pisse hin oder her, „mein Gehsteig“ gehört leer. Vielleicht wohnen die inzwischen alle im schicken Prenzlauer Berg. Und schwärmen von früher.
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