Kolumne Der rote Faden: Was für 1 Sommerloch?

Sommerloch war ganz kurz im Juli, da hatten zwei Igel in Erlangen lauten Sex. Aber derzeit sind auch die „weichen Themen“ gar nicht so irrelevant.

Ein Igel

Wie macht der Igel? Foto: dpa

Es ist August. In den letzten Tagen war es zwar nicht besonders warm, aber es ist doch noch Sommer. Die Deutschen sind saisonal bedingt entspannter, der Bundestag hält irgendwo die Wampe in die Sonne, die Bundesliga pausiert noch, und auch die durchgeknallten Pegida-Anhänger machen derzeit wohl irgendwo Urlaub – also natürlich nicht irgendwo, sondern in Deutschland und bei richtigen Deutschen, versteht sich, so mit Sonnenbrand, der nach Wurst und Bier riecht.

Das merken Journalisten schon allein daran, dass sie in den Onlinekommentaren zu Beiträgen nicht mehr ganz so oft das Wort „Lügenpresse“, sondern viel öfter das Wort „Sommerloch“ lesen. Bemerkenswert oft. Und als müssten sich Journalisten vor diesem Vorwurf der Themenheischerei tatsächlich schützen, leiten einige Autoren ihre Texte schon mit einer, ja, Quasientschuldigung dafür ein, dass sie ihre Leser überhaupt mit diesem vollkommen unwichtigen, nicht von bahnbrechenden Bundestagsbeschlüssen handelnden, komplett abseitigen Thema belästigen.

Das Sommerloch ist – zumindest laut Wikipedia-Definition – entweder: eine Bezeichnung für eine nachrichtenarme Zeit, die vor allem durch die Sommerpause der politischen In­stitutionen, der Sport-ligen und der kulturellen Einrichtungen bedingt ist. Oder: eine 426-Einwohner-Gemeinde bei Bad Kreuznach in Rheinland-Pfalz. Beides hat aber ganz klar wenig mit der derzeitigen Nachrichtensituation zu tun.

Nicht so eilig

Und wenn man jetzt zumindest versucht, den Zeigefinger stecken zu lassen und die Berichte der vergangenen Woche über die menschenverachtenden Kämpfe in Aleppo, die rund 18.000 Toten seit 2011 in dem syrischen Foltergefängnis in Sednaja oder die Kämpfe, die Massenvergewaltigungen und die verheerende Hungersnot im Südsudan – die wiederum seit Jahren Flüchtende erzeugt –, beiseitezulassen, und sich nur auf die sogenannten weichen, ­eurozentrischen Themen konzentriert, ist nicht alles, was in der vergangenen Woche ein Sommerlochetikett angepappt bekam, auch tatsächlich total irrelevant.

Also etwa bei den Olympischen Spielen in Rio wurde am Mittwoch der französische Stabhochsprungstar Renaud Lavillenie bei der Siegerehrung vom brasilianischen Publikum so lange ausgebuht, bis ihm die Tränen kamen. Dabei hat er Silber und ein Brasilianer Gold verliehen bekommen. Schon beim Wettkampf ertönten Pfeifkonzerte.

Er hatte dann einen unglücklichen Nazi-Olympia-Vergleich zu 1936 gezogen, für den er sich bereits entschuldigt hat. Ja, dass ein Franzose in Brasilien weint, hält jetzt nicht wirklich die Welt an. Sehr wohl ist es aber exemplarisch für die allgemeine soziologische Entwicklung der Menschheit, dass sogar bei den Olympischen Spielen selbst der olympische Gedanke am Eingang abgegeben wird.

Das Gewicht des Mittelfingers

Und dann war da auch noch Sigmar Gabriel, dem man doch wirklich noch nie – und vielleicht auch nie wieder – so herzhaft auf die Schulter klopfen mochte wie diese Woche. Hat der SPD-Politiker in Salzgitter doch tatsächlich den Mittelfinger gestreckt hochgehalten, als er im Vorfeld einer Wahlkampfveranstaltung von Neonazis angepöbelt wurde. Darüber wurde natürlich berichtet: Darf er das, soll er das, kann er das. Sommerloch, sagen die Leute. Merkel würde so was nie tun, sagen die Journalisten.

Aber Gabriel ist ja auch Vize­kanzler und nicht Vizemerkel. Und auch wenn der Auslöser für den Finger wohl war, dass die Neonazis seinen Vater ins Spiel brachten, der ebenfalls Nationalsozialist war, hat der Mittelfinger politisches Gewicht. Das ist Gabriels Art, „Wir schaffen das“ zu sagen, und zwar ohne diese Wählerstimmen.

Und dann die Tiere. Die Sommerlochtiere sind in echte und unechte zu unterteilen. Also eine angebliche Sommerlochmeldung aus dem Tierreich war am Dienstag doch die Nachricht aus dem Wiener Zoo, dass Pandamutter Yang Yang nicht nur ein Junges, sondern Bär­chen­zwillinge geboren hat.

Wieso das relevant ist? Weil es laut einer Zählung im vergangenen Jahr weltweit nur noch 1.864 Exemplare dieser fabelhaften Wesen gibt, die einem – auch wenn es offenkundig ein Placeboeffekt ist – das Gefühl geben, dass die Massenextinktion und der damit verbundene Untergang der Menschheit vielleicht doch noch aufzuhalten sind.

Ein echtes Sommerlochtier und die einzig wahre Sommerlochmeldung des Jahres kam übrigens schon im Juli von der dpa unter dem Titel: „Lautstarker Igel-Sex führt zu Polizei-Einsatz“. Da paarten sich in einem Hauseingang in Erlangen stundenlang zwei Igel fauchend und stöhnend, und ein Anwohner rief die Polizei. Was für 1 Sommerloch.

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Schreibt über Gesellschaft, Politik, Medien und manchmal über Österreich. Kolumne "Kinderspiel". War 2013 Volontärin der taz panter-Stiftung, dann taz-Redakteurin. Von 2019 bis 2022 Ressortleiterin des Gesellschafts- und Medienressorts taz zwei. Lebt und arbeitet in Wien.

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