: Dänischer Luftzeichner
Kunst Der Künstler Ib Geertsen ist in Dänemark eine Berühmt-heit. Dass ihn in Deutschland keiner kennt, will die GAK ändern
von Radek Krolczyk
Es hängt zentral an einer der hinteren Wände der Ausstellungsräume der Gesellschaft Für Aktuelle Kunst (GAK): ein sechs Meter langes und in dunklen Farben gemaltes Wandgemälde des dänischen Künstlers Ib Geertsen.
Über die Fläche des Bildes sind geometrische Flächen verteilt, die so wirken, als seien sie ineinander verzahnt. Entfernt erinnert das Gemälde an Pablo Picassos „Guernica“ von 1937 – ein Versuch des spanischen Malers mit der Auslöschung der gleichnamigen Stadt durch die deutschen Condor-Bomberstaffeln umzugehen. Bei Picasso findet man ähnlich angeordnete und ineinander verzahnte Gestalten: Ein Pferd, ein Stier, ein Krieger, eine Mutter mit ihrem toten Kind.
Nun ist „Rumkomposition“ der Titel des 1954 in Öl auf Holzplatten gemalten Bildes. Da bleibt wenig inhaltlicher Pathos, stattdessen sehr viel Form. Und möglicherweise steckt gerade in der Dynamik der Form die Dramatik des Bildes. Immerhin hat Geertsen 1982 gesagt, er interessiere sich nicht für Symbole, sondern für geometrische Dinge, die etwas Poetisches über Bewegung und Linie sagten. Man wüsste sicherlich mehr über das Werk zu sagen, wäre der Künstler nicht 2009 neunzigjährig verstorben und wäre nicht nahezu sämtliche dazu erschiene Literatur in dänischer Sprache. Nun sind seine Arbeiten in Bremen zu sehen, und im Anschluss an die Ausstellung erscheint ein Katalog in deutscher und englischer Sprache, immerhin.
Außerhalb seines Landes blieb Geertsen Zeit seines Lebens weitgehend unbekannt, in Dänemark hingegen war er richtiggehend berühmt – und ist es auch heute noch. Keine Beteiligung an documenta oder Biennale, dafür kleinere Ausstellungen im Ausland, vor allem aber den wichtigsten Häusern Dänemarks wie zum Beispiel dem Contemporary Art Centre Kopenhagen. Der Kurator und Kritiker Lars Bang bezeichnete ihn 2003 in der Zeitschrift Artforum als die „Vaterfigur im Haushalt der dänischen Kunst“. Generationen dänischer Künstler seien mit Geertsens farbenfrohem Formalismus aufgewachsen, so Bang weiter. Tatsächlich sind unzählige seiner Werke in den Museen und im öffentlichen Raum des Königreichs zu finden.
Geertsen war als Künstler Autodidakt, eine Kunstakademie hat er nie besucht. 1930 machte er stattdessen zunächst noch eine Ausbildung zum Gärtner. 1949 gründete er dann schließlich die Künstlergruppe Lienien II – ein Zusammenschluss dänischer Vertreter der konkreten Kunst.
Bekannt wurde er vor allem durch seine zahlreichen Mobiles. Seit 1950 fertigte Geertsen diese bewegten farbigen Metallplastiken, die er selbst „Luftzeichnungen“ nannte. Manche davon sind in seinem Heimatland im öffentlichen Raum untergebracht. In Dänemark kennt man Geertsens Werk also auch dann, wenn man nicht ins Museum geht. Hier und da reicht es, einfach nur das Haus zu verlassen und sich umzudrehen: Geertsen hat auch Hausfassaden gestaltet.
In den Räumen der GAK sind insgesamt dreizehn „Luftzeichnungen“ zu sehen. Die Metallplastiken in vollem Grün, Gelb, Blau oder Rot hängen von der Decke der Ausstellungsräume, einige wenige sind am Boden befestigt. Diese stählernen Gebilde bestehen aus farbigen, meist filigranen Stangen, die durch eine Art Scharniere miteinander verbunden sind. An deren Ende findet sich oft ein tropfenförmiges Stück Metall.
Tatsächlich befinden sich diese Konstrukte unweigerlich in ständiger Bewegung, sei es durch leichten Wind von außen oder die Luft, die in Bewegung kommt, wenn sich Menschen durch den Raum bewegen, sich Türen öffnen und schließen.
Die Tropfenform, die sich auch in Geertsens Grafiken, Collagen und Bildern,wie dem eingangs beschriebenem Gemälde „Rumkomposition“ wiederfindet, beschrieb er selbst als Circle-Squares, als Kreis-Quadrate. Einer Form die, wie er selbst sagte, auf einem Quadrat beruhe, dem wer die Ecken abgenommen hat. Auffällig ist, dass diese Form mit den amputierten Kanten und ihrer Ähnlichkeit zu Wassertropfen und Blättern vom Baum zwar einen äußerst organischen Eindruck vermittelt, sich im Gesamtgefüge der Bilder und Skulpturen jedoch wie ein Zahnrad verhält, also als etwas äußerst technisches erscheint.
Selbstverständlich hat die Ästhetik von Geertsens Arbeiten einen deutlichen zeitlichen Schlag, und den merkt man auch. Bei den vielen farbigen Stahlrohren fühlt man sich erinnert an Klettergerüste auf einem Spielplatz der 70er-Jahre. Gleichzeitig sind in den Arbeiten heutiger Künstlerinnen und Künstler Momente davon zu finden. Man braucht sich dazu bloß das Wandbild von Sarah Morris von 2013 im Foyer der Bremer Kunsthalle anzusehen: der Botanische Garten in Rio aus lauter tropfenähnlichen Formen. Und so bringt die GAK statt aktueller Kunst in diesem Falle Kunstgeschichte, die auf aktuelle Kunst verweist und in ihr weiter wirksam ist.
Die Ausstellung „Ib Geertsen“ ist ab heute bis zum 13. November in der GAK – Gesellschaft für aktuelle Kunst zu sehen
Der Autor ist Betreiber der Galerie K'
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