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Das Alphabet der autonomen Fotografie

Foto Die Lust an der Abstraktion ist nicht nur in der Malerei zu spüren, sondern auch in der Fotografie. „Prime Time. Archetypes of Abstraction in Photography“ in der Galerie Diehl und im Diehl Cube spürt ihr nach

von Brigitte Werneburg

Fotogramme sind an sich schon eine geheimnisvolle Sache. Aber solange sie noch analog produziert wurden, meinte man, auch bei komplexeren Anordnungen die Schatten und Formen einigermaßen dechiffrieren zu können. Im digitalen Zeitalter allerdings werden sie dann restlos geheimnisvoll. Das zeigt Thomas Ruffs Großformat „r.phg.07_I“ (2014), das im Rahmen der von Ralf Hanselle kuratierten Ausstellung „Prime Time. Archetypes of Abstraction in Photography“ im Diehl Cube in der Emser Str. 43 hängt

Ruffs „r.phg.07_I“ gehört in die Reihe „Fotogramme“, die der in Düsseldorf lebende Fotograf gemeinsam mit dem 3-D-Experten Wenzel S. Spingler entwickelt hat. In einer virtuellen Dunkelkammer experimentiert er mit virtuellen Objekten, deren Form, Größe, Farbe, „Materialität“ und Transparenz er dort bestimmt, genauso wie ihre Belichtung auf simuliertem Fotopapier. Das Resultat sind nebulöse Schatten, Blasen, Spirallöcher, deren rhythmische Struktur vor einem zartfarbenen braunen Hintergrund die Aufforderung zu beinhalten scheint, das Geheimnis des Bildes unbedingt enträtseln zu wollen.

Das ist überhaupt das Gefühl, das die Ausstellung hervorruft: wissen zu wollen, wie all diese ebenso reiz- wie geheimnisvollen Bilder entstanden sind. Denn kaum zeigt das Foto keinen Gegenstand oder keine Person der Realität, fühlt man sich ziemlich aufgeschmissen, wie es denn zu verstehen und zu behandeln sei. Zu Recht meint Ralf Hanselle in seinem einführenden Katalogtext, dass wir das Alphabet einer autonomen Fotografie nicht gelernt haben. Einer Fotografie, die „gegen den Apparat“ spiele, wie der Medientheoretiker Vilém Flusser eine fotografische Praxis definiert, die sich die Freiheit der Kunst nimmt.

„Prime Time“ versammelt nun 16 solcher Spieler gegen den Apparat und sein automatisches Programm. In zwei schon vorangegangenen Teilen wurde das Verhältnis von Fotografie zu Zeit und Wirklichkeit hinterfragt. Jetzt untersucht „The Pencil of Nothing“ in der Galerie Diehl in der Niebuhrstr. 2 die fotografischen Grundstoffe Papier, Emulsionen und Toner, während „Dark Side“ in der Emser Str. 43 den bis zur Digitalisierung mit der Fotografie verbundenen Entwicklungsprozess beleuchtet.

Inge Dick etwa, eine österreichische Malerin, fotografiert das Licht, wobei sie mit Polaroid arbeitet. Leider ist man nicht dabei, wie sich der monochrome Farbton des jeweiligen Lichts aus dem Weiß des Polaroids langsam herausbildet. Doch es geht um die distinkten Lichtmomente eines Tages, wie „sky (5.50h) 17.5.2000“ und „sky (5.59h) 17.5.2000“ zeigen, die sie zu konzeptuellen Reihungen zusammenfügt. Nun, da Polaroid nicht mehr existiert, forscht sie dem Licht mittels digitalem Videomaterial hinterher.

Den Himmel hatte auch Ralf Cohen für „Schattenbild“ (2007) im Visier, Aufnahmen einer totalen Sonnenfinsternis, bei der nur noch die kreisrunde Sonnenkorona das Geschehen andeutete, wobei dies in der Dunkelkammer auch mal umdrehte, weshalb die Dunkelheit einmal lichtdurchflutet erscheint, wo sie das andere Mal in Nacht und Schwärze verharrt. Statt der Sonne, die bei Cohen Spuren ins Bild sengt, nutzt Marco Breuer Streichhölzer und Zündschnüre, um pyrotechnisch in den Schichten des Fotopapiers und der Emulsionen zarte Farben und fragile Strukturen freizulegen.

„Prime Time“ ­versammelt solcher sechzehn Spieler gegen den Apparat

Ganz anders die Abstraktion der „Farbenlehre“ (2000) von Hanno Otten, bei der es sich wieder um ein Fotogramm handelt, wobei das Licht, das auf das unterschiedlich präparierte Fotopapier fällt, verschiedenfarbige Monochrome erzeugt. Otten sieht seine Beschäftigung mit Farbe und Fotochemie als ganz konkrete Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit, ist diese doch zunehmend durch Farben kodiert und damit zuverlässig identifizierbar. Ottens Abstraktion ist insofern bemerkenswert, als dort, wo die Sache oberflächlich betrachtet am glamourösesten und dekorativsten ausschaut, sie durch und durch analytisch ist.

Die Lust an der analytischen, sich selbst und ihre Mittel befragenden Fotografie ist nicht neu. Immer wieder hat sie Konjunktur. Das begann spätestens in den 1920er Jahren, als Moholy-Nagy in seiner wegweisenden Publikation „Malerei Fotografie Film“ die Ästhetik der neuen Fotografie über die optische und chemische Eigengesetzlichkeit des Mediums ausformulierte. In den 1960er Jahren des Pop- Zeitalters nimmt Gottfried Jäger provokativ diesen Ansatz wieder auf und versucht über die von ihm sogenannte Generative Fotografie das Bild vom Abbild zu lösen.

Wenn heute die Abstraktion in der Fotografie wieder im Aufschwung ist, dann vielleicht wirklich, wie Steffen Siegel in seinem Katalogtext sagt, weil mit der Digitalisierung des Mediums ihre (Reales wie Virtuelles) abbildende Funktion derart die Oberhand ergriffen hat, dass das Bild inzwischen mit gezeigten Sachen schlechthin verwechselt wird. Es braucht also die Erinnerung daran, dass auch fotografische Bilder nur Bilder sind, die sich zwischen uns und die Wirklichkeit stellen. Kein fotografisches Bild tut das schöner, geheimnisvoller und effektiver als die fotografische Abstraktion. Das erkennt „Prime Time“, die Schau, die uns erneut mit deren Archetypen bekannt macht. Man muss sie sehen.

Bis 10. 9., Galerie Diehl, ­Niebuhrstr. 2, und Diehl Cube, Emser Str. 43, Di.–Fr. 11–18, Sa. 11–14 Uhr, Katalog 35 Euro

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