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Und ewig kreist der Rasenmähroboter

Fotoradsafari Die sechsteilige Ausstellung „H_V_L-Cuts. Porträt einer Flusslandschaft“ von Götz Lemberg lässt sich am besten mit viel Zeit und dem Fahrrad erkunden. Dann gibt es am Wegesrand Fisch und Geschichten

von Andreas Becker

„Da bist du ja wieder“, ruft die Nachbarin in Caputh der Postbotin zu, die gerade ihrem gelben VW-Bus entsteigt. „Bleib bloß drinne!“, bölkt die zurück, weil sie weiß, dass die Frau sonst auf Krücken ihr entgegen durch den Garten humpeln würde.

Dieser Dialog klingt für fremde, zugezogene Ohren derb bis unfreundlich. Ist aber vielleicht typisch für die etwas gewöhnungsbedürftige Herzlichkeit im brandenburgischen Havelland.

Diese Gegend ist schwer definierbar, denn sie zieht sich durch kaum noch bewohnte Ecken bis ins immer schneller prosperierende und expandierende Potsdam. Dessen Speck speist inzwischen Tausende Handwerker, die von früh bis spät mit ihren laut klappernden Anhängern übers Kopfsteinpflaster donnern. Abends ist es dann wieder totenstill. Dann starren wir wie hypnotisiert ins Lagerfeuer und ploppen die Biobiere von umme Ecke auf.

Genuss der Fähre

Der Berliner Fotograf Götz Lemberg versucht jetzt mit einer breit angelegten Fotoserie die Atmosphäre der Havelregion zu erkunden und an immerhin sechs verschiedenen Ausstellungsorten längs des Flusses zu zeigen. Die Orte können super auf einer ausgedehnten Radtour verknüpft werden. Allerdings nicht mit der lustigen Landkarte der Ausstellungsorganisatoren im Netz. Die ziehen einfach einen geraden Strich von Rathenow nach Werder, das sieht schön einfach und kurz aus, als könne man fliegen …

Ich kann aber nur Rad fahren. Und so komme ich wieder einmal in den Genuss einer Fähr­überfahrt nach Ketzin. Das platte Schiffchen, beladen mit einem Trecker und einem Auto mit PM-Kennzeichen, wird gelenkt von einem grummeligen, aber sehr netten Fährmann, der in einer Art Ausguckkasten mit weitem Wasserblick über die Havel sitzt. Von hier aus sieht er schon früh die langen Schubverbände, die auf seine laut ratternde Stahlkette zusteuern.

Um einen Fährschein zu kaufen, muss man die Metallstufen zu seinem Hochsitz erklimmen. Wer das nicht kennt, bleibt im Auto sitzen und wird angebölkt. Wer freundlich ist, bekommt den gut gemeinten Ratschlag, nicht zu spät zurückzuradeln. Er macht nämlich pünktlich um acht Uhr Feierabend. „Willste ’nen Rückfahrschein?“

Direkt neben dem Anleger ist ein kleines Gasthaus mit schöner Havelterrasse, daneben ein ganz kleiner Strand. Super zum erfrischenden Havelbad. Um dann später auf einem Deich Richtung Galerie Töplitz zu radeln, wo sich der Verein Havel-Land-Art schon seit Mitte der Neunziger mit Konzerten und ambitionierten Ausstellungen hervorwagt.

H_V_L-Cuts

Die Ausstellung „H_V_L-Cuts“ von Götz Lemberg ist an folgenden Orten bis 4. September zu sehen: Stadtgalerie „Kunstgeschoss“ Werder; Kunstverein KunstHaus Potsdam e.V.; Schloss Caputh; Galerie Kirche Petzow im Landkreis Potsdam-Mittelmark; Galerie Töplitz; St. Marien-An­dreas-Kirche in Rathenow. Do., Sa., So. 10–18 Uhr

Hier ist man froh, dass die Bundesregierung nie das „Projekt 17 Deutsche Einheit“ verwirklicht hat. Die Betonköpfe wollten die Flussregion begradigen und nachhaltig zerstören. Viele von Lembergs Motiven wären verschwunden.

Blöderweise haben wir plötzlich einen Platten und müssen zurück zur Seilfähre, um nicht in der Wildnis zu übernachten. Leider haben die HVL-Fotoausstellungen nur dreimal die Woche geöffnet.

Der Verfall vor dem Hype

Am nächsten Tag radeln wir erst mal nach Werder. Wo im Mai beim Baumblütenfest Besoffene Karrussel fahren, auf der Halbinsel mitten in der Havel, verfielen jahrelang die Häuser, jetzt bemerkt man auch hier den anschwellenden Immobilienhype.

Die typische Kurzangebundenheit des Fischverkäufers freut uns, denn wer in Brandenburg nicht erst mal leicht pissig reagiert, ist ein kapitalistischer Schleimer: „Wie lange haben Sie denn heute auf?“ – Solange ich Bock habe!“, lautet die bündige Antwort. Kaufen wir den würzig geräucherten Butterfisch eben vorm Fotogucken. Gleich gegenüber gibt’s auch’nen To-go-Kaffee, wie öfter in der Gegend mit 3o Cent Pappbecheraufschlag.

Im ehemaligen Schützenhaus hat die Gemeinde ein Gebäude aufwendig saniert. Unten ist eine Kneipe mit Biergarten, wo gerade Geburtstagsständchen gesungen werden, oben unterm lichten Dach ein schöner Galerieraum. Hier kann der Fotograf Götz Lemberg auf 16 Metern Länge seine Cuts präsentieren. In drei Reihen übereinander hängen dicht an dicht seine Bilder, die er in mehreren Wochen vom Boot aus gemacht hat. Der Fotograf hat das Flusspanorama nicht simpel chronologisch angeordnet, sondern nach Farben, Flächen und Motiven neu gemischt.

Das hat den angenehm irritierenden Effekt, dass man Gebäude, Strommasten oder Bäume wiedererkennt, sie aber nicht geografisch korrekt einordnen kann. Als wir das Sperrwerk hinter Havelberg entdecken – hier endet der Fluss endlich und löst sich in der Elbe auf –, sind wir richtig froh über einen konkreten Ortsfund.

Lemberg hat das Flusspanorama nicht simpel chronologisch angeordnet, sondern nach ­Farben, Flächen und Motiven neu gemischt. Ein angenehm irritierender Effekt

Auch die angeschnittene Ketziner Seilfähre und ein Altersheim-Hochhaus in Potsdam identifizieren wir. Und die öde, neumodische „Marina Riva“ in Werder, in einem ehemaligen „Russenkasernengebiet“ hinterm Schornstein (der Monsterlandmark der Stadt) beim Bahnhof, wo jetzt Möchtegernangeber ihre Motorjachten aufpolieren.

Teure Apartmenthäuser stehen hier bis ans Wasser. In der Ecke dahinter steht die unfertige Investruine „Blütentherme“ – ein gescheitertes Steuergeld-Spaßbad. Nicht weit weg von einer nagelneuen Autowaschstraße. Alles wirkt wie verloren. Es gibt tatsächlich eine „Musterhausausstellung“. Kein Mensch, nirgends: In einem der geputzten Gärtchen versucht ein blinkender Bosch-Rasenmähroboter immer wieder erfolglos die letzten Grashalme vorm Jägerzaun abzusäbeln.

Dieser konkrete Ortsanblick ist der krasse Widerspruch zur tatsächlich lieblichen Gesamtlandschaft, aber auch zu Lembergs ästhetisierenden Wasser-Landmalerei-Fotos. Mit einem Realitycheck hat sein Projekt wenig zu tun.

Ein Kilometer Abstand

Woanders sind die Bewacher der Kunst ja eher still, hier bietet sich schnell der ehrenamtliche Pensionär an, einem das Fotoprinzip zu erläutern. Lemberg hat für das Werderaner Panorama immer stur im Abstand von einem Kilometer den Auslöser gedrückt, sagt er.

Der ehemalige Ingenieur, der sein Leben lang in Werder gelebt hat, erzählt, wie er 1987, als die „Reisefreiheit“ gelockert wurde, erstmals den Ku’damm wieder gesehen hat, den er noch von Ausflügen vor 1961 kannte: „Unser Hausarzt ist damals auch rübergefahren und danach an der DDR verrückt geworden. Kam in die Psychiatrie.“

Jetzt geht’s rüber nach Petzow, in den hügeligen Schlosspark mit diversen Seeblicken. Hier, in der 1842 mit Ziegeln aus dem benachbarten Glindow hochgemauerten kleinen Dorfkirche – Flyer werben für einen Hochzeitstaubenverleih: „Wir fliegen bei allen Events“ –, sind die Fotos von den Kirchenbänken aus zu sehen. Mehrere braune Ackerflächen, unterschiedlich gepflügt, Wolken. Braunes Wasser, grünes Wasser, gewelltes Wasser. Bäume. Na ja.

Der Aufpasser hier ist wortkarg, hört laut Radio und bewacht vor allem den Kirchturm. Draußen auf dem Schwielowsee toben sich schon wieder die Wasserskiläufer aus – sie trainieren fürs kommende Fährfest in Caputh.

In Caputh ist die dritte Station unsrer Fotoradsafari. In einem etwas kargen Seitenflügel des kleinen Schlosses hängen Lembergs Impressionen – hier sind dann auch mal, zurückhaltend havelkritisch, schattierende Hecken und zugemauerte Fenster in leeren Häusern zu sehen. Nicht sehr positiv leider das Urteil der sympathischen Wärterin: „Die Buga war ja auch schon nüscht.“ Dann erzählt sie ausführlich von den Wildschweinen, die nachts heimlich die Gärten umpflügen. „Gibt’s von denen keine Fotos?“

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