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Die Kunst umherzuschweifen

Raumkunst Das Festgefügte ist nur eine Illusion: Christian Hasucha „unterwegs zuhause“ in der Galerie im Saalbau Neukölln

Künstler blickt vom Hügel Foto: Christian Hasucha

Eigentlich sieht das bloß aus wie ein festgebackener Haufen Kies irgendwo an einem Weg. Beachtenswert? Für Christian Hasucha schon. Am Rand eines Feldwegs in Rumänien hat er die kleine Erhebung entdeckt, eine Balustrade in einem Baumarkt besorgt und diese obenauf gesetzt. Nun stützt er sich darauf und lässt den Blick in die sanfte, weite Hügellandschaft vor ihm schweifen. So zeigt ihn ein Foto als Rückenfigur, fast wie in den klassisch romantischen Landschaftsbildern von Caspar David Friedrich.

Mit diesem 2014 entstandenen Motiv lädt Christian Hasucha zu seiner Ausstellung „unterwegs zuhause“ in der Neuköllner Galerie im Saalbau ein. Der Titel ist programmatisch für die Arbeitsweise und die Themen dieses Künstlers, der an der Karl-Marx-Straße zwar auch ein Atelier hat. Vor allem aber ist er ein Umherschweifender und Unterwegsarbeiter, ein Mann der kleinen Gesten, dessen Eingriffe in das, was man öffentlichen Raum nennt, oft ganz unspektakulär sind.

Vielleicht macht gerade das, der leise und auch irgendwie bescheidene Auftritt dieses 1955 geborenen Künstlers, das Besondere in einer Zeit aus, in der im öffentlichen ebenso wie im virtuellen Raum, in dem das Private als öffentliches Spektakel inszeniert wird, ein gnadenloser Konkurrenzkampf um Aufmerksamkeit stattfindet.

In der Fotoserie „Rumbulukr“, die sich auf eine Reise durch Rumänien, Bulgarien und die Ukraine bezieht, arbeitet Hasucha mit kleinen schwarzweißen Fotografien und Text. Die Bilder zeigen ihn wieder als Rückenfigur, ein Notizbuch in der Hand, zwischen Holzkisten stehen, die wie abgestellte Koffer wirken. Manchmal sehen ihm zwei Frauen neugierig zu, im Hintergrund sieht man Hochhäuser in der Stadt oder Erdwälle einer nicht einzuordnenden Gegend. Unter jedem Bild informiert eine handschriftliche Zeile, etwa: „Christian Hasucha schreibt über das Wohnen in den Städten“.

Seine Eingriffe in urbane und ländliche Räume funktionieren oft wie ein Testbild, das an unsere Wahrnehmungsmuster von Stadt und Landschaft anknüpft, sie ein wenig verschiebt, etwas unterläuft.

Manchmal zeigen sie sich als Skulptur, wie bei einem Tisch, den der Künstler an einer Küste in die Felsen gebaut hat, deren Spitzen teils aus der Tisch­oberfläche herauswachsen. Oft aber leben diese Eingriffe nur in der Dokumentation fort, in Fotos oder kurzen Filmen. Einmal sieht man Steine tanzen, per Einzelbild bewegt, ein kurzer, übermütiger Moment.

Manchmal muss man sich auch selbst bewegen, um überhaupt etwas zu sehen. In einem Raum der Galerie sind Baumaterialien arrangiert, Platten lehnen an einer unfertigen Wandverkleidung, Farbeimer und Blöcke stehen davor. Erst über einen Bewegungsmelder löst man die Projektion aus, die das Arrangement zum plastischen Bildträger für ein neu gebautes Eigenheim macht, noch nicht verputzt. Durch das Haus als Ort des Festen und Gesicherten scheint gewissermaßen sein Skelett hindurch, das Festgefügte ist nur eine Illusion (und hässlich dazu).

Die Gegensätze von Stillstand und Bewegung, von zu Hause und unterwegs verlieren bei Hasucha gelegentlich ihre Opposition. Er lädt das nicht explizit mit sozialen und politischen Inhalten auf, schlägt nicht die Kontexte von Gentrifizierung oder Migration auf. Seine Strategien scheinen vielmehr aus einem ästhetischen Interesse zu kommen, aus der Erforschung der alltäglichen Wahrnehmung. Und doch berührt er dabei existenzielle Fragen – was ist zu Hause, wie viel braucht es dazu, wer hat die Definitionsmacht darüber –, die in der Gegenwart immer dringlicher werden.

Katrin Bettina Müller

Galerie im Saalbau, Karl-Marx-Str. 141, Di.–So. 10–20 Uhr, bis 18. 9.

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