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„Jeder von unsschafft sich seineeigene Wirklichkeit“

COMICGESCHICHTE Ein guter Beobachter zu sein, das verbindet den Comicautor Andreas mit seinen ungewöhnlichen Helden

Er mag einfach schön aufgebaute Seiten. Hier eine aus der „Capricorn“-Serie Foto: Verlag Schreiber & Leser

Interview Christoph Haas

Der Comiczeichner Andreas lebt in Frankreich. In seinen Arbeiten verbindet er in ungewöhnlicher, fantasievoller Weise Elemente von Horror, Fantasy und Science-Fiction. Von den rund 65 Alben, die er gezeichnet hat, ist nur ein Bruchteil auf Deutsch greifbar.

taz: Andreas, Sie sind ein deutscher Comiczeichner, der in Frankreich viel bekannter ist als bei uns. Ihre künstlerischen Vorbilder aber stammen aus den USA. Sie sind ein wandelndes Paradoxon!

Andreas: Das bin ich gerne!

Mit welchen Comics sind Sie während Ihrer Kindheit in der DDR in Berührung gekommen?

Nur mit „Atze“ und „Mosaik“, alles andere war ja verboten. Als wir im Westen lebten, haben mich die frankobelgischen Serien, die in „Fix & Foxi“ abgedruckt wurden, sehr beeindruckt. Bei „Spirou“ etwa ist mir zum ersten Mal die Qualität der Bilder aufgefallen, vorher war ich nur auf die Geschichten fixiert. Mit dem Zeichnen habe ich, anders als viele Kollegen, erst mit 16 angefangen. Aber bald war mir klar: Das will ich beruflich machen.

Sie sind nach Brüssel gegangen, an die Kunsthochschule St. Luc. Das war für einen jungen Deutschen, der Anfang der Siebziger Comics zeichnen wollte, ein sehr kühner Schritt.

Nun ja, das war damals die einzige Schule, die Zeichner ausbildete – ich musste meinen Eltern etwas Seriöses präsentieren, damit sie meinem Berufswunsch zustimmten. In St. Luc habe ich mich nicht als Exot gefühlt, sondern es im Gegenteil genossen, zum ersten Mal Gleichgesinnte gefunden zu haben. Außerdem habe ich in den Brüsseler Comicläden amerikanische Zeichner wie Bernie Wrightson und Neal Adams entdeckt.

Die erste Figur, die Sie erfunden haben und die sich dann zum Helden einer siebenbändigen Serie entwickelt hat, ist der Magier Rork. Das ist ein ungewöhnlicher Protagonist. Er ist eher passiv, eher ein Zuschauer als ein Handelnder.

Eigentlich wollte ich damals einfach phantastische Geschichten erzählen, aber da ich für das Magazin Tintin arbeitete, musste es eine regelmäßig wiederkehrende Hauptfigur geben. Also habe ich mich bemüht, die Geschehnisse sozusagen um Rork herum ablaufen zu lassen. Auch der Astrologe Capricorn bleibt in den 20 Bänden, die ich seinen Abenteuern gewidmet habe, eher ein Beobachter als jemand, der etwas bewirken will. Das verbindet beide Figuren übrigens mit mir.

Eines der Rork-Alben trägt den Titel „Passagen“. Das ist ein Schlüsselbegriff für Ihr ganzes Werk. Es geht immer um Übergänge, um geheime Verbindungen. Ihre Figuren sind Wanderer zwischen den Welten, den Dimensionen, zwischen Traum und Wirklichkeit.

Was ist Wirklichkeit? Das ist eine Frage, die mich sehr beschäftigt. Ich erzähle im Grunde immer von inneren Welten. Jeder von uns schafft sich seine eigene Wirklichkeit. Ich habe zum Beispiel festgestellt, dass mein linkes Auge Farben anders wahrnimmt als mein rechtes. Wenn das bei mir schon so ist, wie sehen dann andere Menschen Farben?

Sie arbeiten gerne mit extremen Perspektiven, mit Close-ups und verwirrenden Hell-dunkel-Kontrasten. Mimik und Gestik der Figuren sind oft exaltiert. Dass der amerikanische Zeichner Bernie Wrightson, der vor allem für seine Horror-Comics berühmt ist, Sie stark beeinflusst hat, ist offensichtlich – aber Sie sind noch viel manieristischer.

Das hat auch etwas mit meinen Grenzen als Künstler zu tun. Wenn ich Schwierigkeiten habe, etwas zu zeichnen, dann versuche ich es wenigstens interessant zu zeichnen, etwa indem ich mir ein Detail herausgreife. Umgekehrt kann man beobachten, dass Zeichner, die alles beherrschen, sich oft keine Mühe geben, und so unter ihren Möglichkeiten bleiben.

Zu Ihren Markenzeichen gehören schmale, hohe Panels, in denen die Figuren wie eingezwängt wirken. Das hat etwas Klaustrophobisches.

Ja, aber es gibt den Seiten zudem einen bestimmten schnellen Rhythmus, wenn mehrere solcher Panels aufeinanderfolgen.

Foto: Schreiber & Leser
Andreas

bürgerlich: Andreas Martens – wurde 1951 in Weißenfels an der Saale (DDR) geboren. Er studierte an der berühmten Kunsthochschule St. Luc in Brüssel, veröffentlichte erste Comics in dem belgischen Comic-Magazin „Tintin“. „Rork“ und „Capricorn“, zwei seiner wichtigsten Serien, erscheinen im Schreiber & Leser Verlag.

Bevor Sie die Zeichnerlaufbahn eingeschlagen haben, wollten Sie Architekt werden. Das merkt man Ihren Comics an. Architektur spielt eine große Rolle, und Sie legen Wert auf einen sozusagen architektonischen Seitenaufbau. Sie arrangieren die Panels oft in dekorativ-symmetrischer Weise.

Ich mag schon eine schöne Seite haben! Strukturen interessieren mich mehr als Inhalte. Wie erzähle ich eine Geschichte? Diese Frage ist mir wichtiger als das, was ich erzähle.

Fast alle Ihre Alben sind im Alleingang entstanden. Mit einem Szenaristen zusammenzuarbeiten, das reizt Sie nicht?

Ich bin grundsätzlich gerne alleine, und ich glaube, einer der unterbewussten Gründe, warum ich meinen Beruf gewählt habe, ist, dass ich ihn ohne Partner ausüben kann. Allerdings habe ich die wenigen Male, wo ich nicht alles selbst machen musste, auch als entlastend empfunden. In Zukunft werde ich nur noch einzelne Bücher machen, keine Serien mehr, und da habe ich schon einige Autoren, mit denen ich mich gut verstehe, im Blick.

Sie haben also nicht vor, den Stift aus der Hand zu legen, obwohl Sie jetzt im Rentenalter angekommen sind?

Nein! Ich stehe jeden Morgen auf und freue mich darauf, zeichnen zu können, auch am Wochenende. Davon abgesehen, bei der Rente, die mich erwartet, kann ich noch lange nicht in Ruhestand gehen. (lacht)

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