: „Wichtig sind Motivation und Erfahrung“
Zukunft Immer mehr Ältere arbeiten noch im Rentenalter. Aber die Chancen zur Weiterarbeit sind ungleich verteilt,sagt der Altersübergangsforscher Martin Brussig. Politik und Wirtschaft müssten zeitgemäße Antworten finden
Interview Barbara Dribbusch
taz: Herr Brussig, die Politik hat neue Pläne, den Rentenbezug mit der Erwerbstätigkeit zu kombinieren. Welchen Trend in der Erwerbstätigkeit der Älteren beobachten Sie derzeit?
Martin Brussig: Die Alterserwerbstätigkeit hat in den letzten zehn Jahren stark zugenommen, auch im Rentenalter. Dabei muss man unterscheiden zwischen denjenigen, die noch nicht an der Regelaltersgrenze sind auf der einen Seite, und denen, die jenseits dieser Grenze noch arbeiten. Beides sind wachsende Gruppen.
Arbeiten die Leute aus Not weiter oder tun sie das, weil sie es gerne möchten?
Das ist natürlich ein buntes Spektrum. Es ist schwer, da klare Linien zu ziehen. Ein erheblicher Teil arbeitet weiter trotz Rente, etwa als Angestellter oder als freier Mitarbeiter auf Auftragsbasis, weil diese Leute ihrem Beruf oder Betrieb besonders verbunden sind. Auf der anderen Seite gibt es diejenigen, die angeben, dass sie vor allem ihre Rente durch Erwerbstätigkeit aufbessern wollen. Zusätzlich existieren noch jede Menge Mischformen.
49, ist Soziologe. Er leitet die Abteilung Arbeitsmarkt-Integration-Mobilität beim Institut für Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen. Einer seiner Schwerpunkte sind die Übergänge von Erwerbsarbeit in die Rente.
In welchen Berufen geht das denn überhaupt, auch im Alter weiterzuarbeiten?
Zunächst mal sind das die Hochqualifizierten. Unter den hochqualifizierten Männern zwischen fünfundsechzig und neunundsechzig Jahren in Westdeutschland sind es bis zu zwanzig Prozent, die noch erwerbstätig sind. Unter denen sind beispielsweise hochqualifizierte Techniker. Aber auch in der Landwirtschaft arbeiten noch viele Ältere, darunter eine Menge Selbstständige. Für die spielt das Rentenalter nicht solch eine große Rolle.
Es gibt ja dieses Klischee von der geschiedenen ehemaligen Verkäuferin, die als Kleinrentnerin immer noch irgendwo in einem Minijob ackern muss, weil ihre Rente nicht reicht. Das ist gesellschaftlich ja eher negativ besetzt, nicht wahr?
Auch bei Personen, die aufgrund niedriger Renten einen Hinzuverdienst nötig haben, ist es so, dass sie eine grundsätzliche Erwerbsmotivation und Erwerbserfahrung mitbringen. Die von Altersarmut Bedrohten sind die früheren Langzeitarbeitslosen. Die beginnen aber im Alter nicht plötzlich eine Erwerbstätigkeit. Wer beispielsweise als Verkäuferin gearbeitet hat, kann sich als Rentnerin unter Umständen eine Erwerbstätigkeit so aussuchen, dass sie von den Tageszeiten her passt, und dann vielleicht ein paar Stunden Regale im Supermarkt auffüllen.
Das klingt positiv.
Ich würde die Erwerbsarbeit im Rentenalter nicht verteufeln. Aber die Politik sollte an diese Erwerbsarbeit keine sozialpolitischen Erwartungen knüpfen, um Rentenkürzungen für alle zu rechtfertigen. Denn bei diesen Erwerbstätigen im Rentenalter handelt es sich um eine Minderheit.
Man muss ja auch gesundheitlich dazu in der Lage sein.
Nach Plänen des SPD-geführten Bundesarbeitsministeriums sollen ArbeitnehmerInnen, die vor dem Erreichen der Regelaltersgrenze in eine vorgezogene Rente gehen wollen, mehr hinzuverdienen können als nur – wie bisher – 450 Euro im Monat.
Arbeiten RentnerInnen nach Erreichen der Regelaltersgrenze weiter und verdienen mehr als 450 Euro, dann sollen sie künftig – anders als bisher – die Möglichkeit haben, in die Rentenkasse einzuzahlen, um damit ihre Rente zu erhöhen.
Für erwerbstätige VollrentnerInnen sollen ArbeitgeberInnen nicht mehr wie bisher Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zahlen müssen.
Wer in eine vorgezogene Rente mit Abschlägen gehen will, soll schon ab dem fünfzigsten Lebensjahr die Möglichkeit bekommen, die später drohenden Rentenabschläge durch höhere Einzahlung in die Rentenkasse auszugleichen. Der Gesetzentwurf dazu soll im Herbst kommen. (bd)
Richtig. Die gesundheitliche Varianz, also die Unterschiede in der körperlichen Verfassung, ist sehr groß, gerade bei Älteren. Die Chancen zur Weiterarbeit sind also sehr ungleich verteilt. Würde die Politik die Rentenkürzungen mit der zunehmenden Erwerbsarbeit der Älteren rechtfertigen, würde das vor allem diejenigen treffen, die es körperlich gar nicht mehr schaffen, sich noch etwas dazuzuverdienen. Das sollte nicht sein.
Ob man noch arbeiten kann, ist doch aber nicht nur eine Frage der Konstitution, sondern auch des Verschleißes in dem Beruf, den man lange ausgeübt hat.
Die sogenannte Arbeitslebenserwartung ist in den Berufen in der Tat sehr unterschiedlich. Bei Bauarbeitern ist das Austrittsalter aus dem Beruf niedrig, zum Beispiel, aber Bauarbeiter suchen sich später möglicherweise eine andere Tätigkeit, etwa im Wach- und Sicherheitsgewerbe oder als Hausmeister. Die eigentlich relevanten Prozesse zum Thema Verschleiß spielen sich lange vor dem Renteneintrittsalter ab, etwa wenn ein achtundvierzig Jahre alter Lkw-Fahrer oder ein Bauarbeiter wegen seines Rückens nicht mehr kann und eine Alternative braucht. Hieraus erwachsen Probleme, für die die Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik noch keine guten Antworten gefunden hat.
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