Ferienlektüre Dem schwedischen Kinderbuchautor und -illustrator Jakob Wegelius gelingt mit „Sally Jones. Mord ohne Leiche“ ein großer Wurf
: Fado für einen Affen

Eine Hauptfigur namens Sally Foto: Zeichnung: Jakob Wegelius

von Eva-Christina Meier

Erster Maschinist auf der „Hudson Queen“ ist Sally Jones, und sie ist auch die Erzählerin in dem gleichnamigen Kriminalroman „Sally Jones. Mord ohne Leiche“. Die Gorilladame trägt meist einen ölverschmierten Blaumann. Ausgestattet mit einem großen Herzen und vielen Talenten, repariert sie Schiffsmotoren, Musikinstrumente, stopft Socken und spielt hervorragend Schach.

Sally Jones ist in jeder Hinsicht außergewöhnlich. Selbstverständlich kann ein Affe nicht sprechen. Aber dieser versteht die Sprache der Menschen und kann schreiben. So hält Sally Jones die Erinnerung an das großes Abenteuer, das sie von Portugal bis ins ferne Indien führen soll, auf der Schreibmaschine fest – einer frisch reparierten Underwood Nr. 5.

Die verschlungene Geschich­te beginnt in Lissabon irgendwann in den 1910er Jahren, zu Beginn der portugiesischen Republik.

Dort, in den verwinkelten Gassen des Hafenviertels, hoffen Sally Jones und der Chief alias Kapitän Koskela auf neue Fracht für die „Hudson Queen“, bis ihnen eines Abends ein gewisser Alphonse Morro ein verlockendes Angebot macht.

Doch der ersehnte Auftrag verwickelt die beiden schon bald in einen düsteren politischen Komplott, und ihr Schiff kentert bei der nächtlichen Aktion. Danach nimmt das Unglück seinen Lauf: Als der mysteriöse Morro kurz darauf im Hafen ertrinkt, beschuldigt die Polizei den Chief des Mordes. Wie kann Sally Jones die Unschuld des Freundes beweisen?

2009 hatte Jakob Wegelius in „Sally Jones. Eine Weltreise in Bildern“ mit der aus dem Kongo entführten Gorilladame bekannt gemacht. Als illustrierte Bildgeschichte erzählte er darin von ihrer Begegnung mit dem finnischen Kapitän Henry Koskela. Mit „Sally Jones. Mord ohne Leiche“ setzt der schwedische Kinderbuchautor nun die Geschichte der zwei Seefahrer als episch angelegten fesselnden Abenteuerroman fort.

Dabei verwandelt das Multitalent Wegelius den 600-Seiten-Schmöker mit einem prächtig gestalteten Titel, detailreichen Landkarten, Porträts und Bildszenen in ein stimmiges Gesamtkunstwerk.

In dem soeben erschienenen Roman taucht Sally Jones nach der Festnahme des Kapitäns auf der Flucht vor dem wütenden Mob, der den Affen in den Zoo sperren will, unter. Doch in dieser ausweglosen Situation erfährt der Menschenaffe überraschend Hilfe und Freundschaft von der Fado singenden Ana ­Molina und ihrem musikalischen Vermieter Luigi Fidardo.

In dessen Instrumenten­werkstatt macht sich die geschickte Sally Jones bei der Reparatur der komplizierten Ziehharmonikas bald unentbehrlich und lenkt sie ab von der quälenden Sorge um den Chief. Allerdings liegt dessen Befreiung noch in weiter Ferne, und der Weg dorthin hält einige He­raus­forderungen, Rückschläge und Hinterhalte bereit. Trotzdem: Freundschaft ist das große Thema und ein durchgängiges Motiv in diesem einfühlsamen Abenteuerroman.

Im zweiten Teil des Buches, am Hofe des prunksüchtigen Maharadschas von Bhapur, nimmt die fantasiereich ausgeschmückte Handlung märchenhafte Züge an.

Freundschaft ist das große Thema und ein durch­gängiges Motiv in diesem einfühlsamen Abenteuerroman

Durch ihre stoisch schweigsame Aufrichtigkeit gelingt es Sally Jones allmählich, hinter die launische Fassade des unnahbaren Herrschers vorzudringen und ihn schließlich als Freund zu gewinnen. Wenngleich auch Ana Molinas ihren Anteil an der Verwandlung des Monarchen hatte: „Ehe wir gute Nacht sagten und schlafen gingen, sang Ana einen wehmütigen Fado über Aufbruch und Abschied. Große Tränen rollten über die Wangen des Maharadschas.“

Danach verwandelt Wegelius den Roman wieder in einen Krimi und führt detektivisch die weitläufig bis nach Indien führenden Handlungsstränge um das Verschwinden Alphonse Morros an den Ausgangspunkt des Verbrechens in Lissabon zurück.

Doch damit ist die Achterbahnfahrt der Gefühle keineswegs am Ende. Wird es Sally Jones, Ana Molina und Signor Fidardo gelingen, die Verschwörung aufzudecken und das Gericht von der Unschuld des Chiefs zu überzeugen?

Schließlich führt die Spur in die höchsten Kreise der Gesellschaft und in den Polizeiapparat. Die Zeit drängt, denn der einzige Zeuge liegt bereits auf dem Sterbebett.

Spannend bis zur letzten Seite bietet Sally Jones umfangreiches (Vor-)Lesevergnügen für die Ferien.

Jakob Wegelius: „Sally Jones. Mord ohne Leiche“. Aus dem Schwedischen von ­Gabriele Haefs. Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2016, 624 Seiten, gebunden, mit zahlreiche Abbildungen, 19,95 Euro. Ab 9 Jahren