: Ein Stachel in der Behaglichkeit
Freundeskreis Sie rappen, sprayen oder sind anderweitig künstlerisch aktiv: Maxi alias MXM, der Produzent Pavel, MC Bomber und die anderen der Runde der Anfang Zwanzigjährigen, die der Meinung sind, dass es in Prenzlauer Berg mehr geben muss als ein bürgerlich eingerichtetes Leben. Ein Besuch
von Sascha Ehlert
Sie haben noch mal Schwein gehabt. Gute zwanzig Minuten lang hatten sie hier rumgesessen, im Gleisbett der Regionalbahn, als plötzlich zwei Polizisten hinter ihnen auftauchten und sagten: „Wir wollen euch nichts Böses, haut hier einfach ab, sonst kriegt ihr Ärger mit der Bundespolizei.“ Nichtsdestotrotz stellt sich fünf Minuten später, zurück am Auto, allen die Frage: „Abbrechen?“ – „Auf keinen Fall“, sagt L. „Bis heute Abend sind die Blumen auf jeden Fall im Arsch.“– „Aber was, wenn die beiden tatsächlich der Bundespolizei Bescheid gesagt haben?“, bemerkt E.
Haben sie nicht. Fünf Minuten später: Das halbe Dutzend spurtet Richtung Toaster. Toaster, das sind S-Bahn-Waggons der Baureihe 480, im Einsatz seit 1986. In den Händen tragen sie Blumenkästen, auf der Rückseite befinden sich Kleber. Unter jedes Fenster des S-Bahn-Waggons wird ein Blumenkasten angebracht. Die Fahrgäste gucken. Allerdings nicht so, wie sie schauen, wenn Vermummte mit Sprühdosen einen ganzen Waggon bemalen. Ältere Damen und jüngere Herren schauen interessiert bis amüsiert auf die, die hier mit T-Shirts vermummt die S-Bahn begrünen. Gute zwei Minuten später ist es vorbei, die Bahn fährt ab, die Blumenkästen halten. Am S-Bahnhof Bornholmer Straße wird später eine junge Frau die Blumen gießen. Mediale Erwähnung finden das Blumenmädchen und der bepflanzte Toaster nicht, aber lächelnde Gesichter bei Beteiligten und Fahrgästen.
Ein paar Tage später. Ein schnieke renovierter Altbau mit großem Eingangsportal und Wendeltreppe im Vorderhaus. Im zweiten Stock befindet sich die letzte verbliebene WG im ganzen Haus. Was nun folgt, passt allzu sehr ins Klischee von einem Bezirk, der nicht mehr Berlin, nicht mehr Chaos, nicht mehr Freiheit sein will, sondern stattdessen ruhig und geordnet. Seit geraumer Zeit liegen Maxi, Karl und ihre beiden Mitbewohner im Clinch mit ihren Nachbarn.
An dem Tag, an dem eigentlich das erste Treffen hätte stattfinden sollen, waren die vier mit ihrem Anwalt verabredet. Der Vermieter will sie aus dem Haus klagen, im Wohnzimmer dürfen sie keine Musik mehr hören, die Nachbarn von oben, ein jüngeres Pärchen mit kleinem Kind, fühlte sich gestört.
Die Kraft von Nietzsche
„Ich bin in diesem Haus aufgewachsen“, erzählt Karl. Seine Eltern hatten damals zwei Wohnungen zusammenlegen lassen. 150 Quadratmeter für ein paar hundert Mark. Als seine Eltern auszogen, blieb Karl und machte aus seinem Elternhaus eine Vierer-Jungs-WG. „Zu unserem Einzug hatten wir hier’ne Party. Maxi und Paul sind aufgetreten, in meinem Zimmer war der ‚Backstage‘, wir hatten die ganze Wand mit Plastik abgehängt und nur eine Lücke gelassen. Dort durften die Leute sich verewigen.“ Besagte Fläche ist voll mit Tags, ansonsten hängen Plakate von HipHop-Konzerten an den Wänden, ein Plakat für eine Theaterinszenierung hängt im Flur. In Maxis Zimmer gibt es ein Plakat mit Kühen und einem Zitat von Nietzsche darauf.
„Den Titel für unser Album haben wir uns quasi von dem Poster geklaut: ‚Dreiviertel der Kraft‘“, sagt Maxi, der sich als Rapper MXM nennt. Neben ihm auf der Couch sitzt Paul, als Produzent heißt er Pavel. Bisher haben die beiden in dieser Konstellation mehrere Mixtapes als Gratis-Download und auf Vinyl veröffentlicht. Die Musik darauf: klassischer Battle-Rap, Alltagsbetrachtungen. Paul ist ebenfalls hier aufgewachsen, allerdings vor ein paar Jahren gen Wedding gezogen. „Wedding ist der nächste Anlaufpunkt für alle, die hier keine Wohnungen mehr finden. Da gibt’s noch mehr Platz“, sagt Paul. „Und man kann sich sonntags von Mutter bekochen lassen.“
Der, der das gesagt hat, ist Max beziehungsweise Bomber. Von den Jungs, die hier auf der Couch sitzen, ist er der bekannteste. Gerade hat er sein Album „Predigt“ beim Berliner Label Proletik veröffentlicht und ist damit in die Top 10 der Charts eingestiegen. Auch MC Bomber hatte seine Musik zunächst gratis im Netz veröffentlicht. Er ist ebenfalls hier am Kollwitzplatz aufgewachsen, so wie Ivo, der Letzte in der Runde und derjenige, der sowohl MXM & Pavel als auch MC Bomber zu einer Plattform verhalf, über die sie ihre Download-Platten veröffentlichten: Upstruct.org, eine Website für Graffiti und Rap. „Aber eigentlich“, meint Ivo, „ist Upstruct mehr eine Gang, ein Zusammenschluss von vielen Leuten mit denselben Interessen, ich übernehme dafür aber das Administrative.“
Künstlerisch vs. kreativ
Ivo und Max sind ein paar Jahre älter als Maxim, Paul und Karl, dennoch kennen sich fast alle bereits seit ihrer Jugend, teilweise ging man auf dieselbe Schule, so richtig zusammen fand man aber erst über Rap, Graffiti und Techno-Partys. Karl will Bühnenbildner werden und arbeitet momentan an der Volksbühne, der Rest macht Musik, malt, sprüht, schreibt – jeder der Jungs ist künstlerisch aktiv, dennoch grenzen sie sich deutlich von dem „coolen“ Kreativtreiben in Neukölln und Kreuzberg ab. Von den hübschen Cocktailbars und den gestriegelt aussehenden Streetwear-Nasen will man sich bewusst distanzieren, in dem man mit Vorliebe in der Eckkneipe hängt, so rumläuft wie Graffiti-Sprüher in den Neunzigern, ein bisschen berlinert, einander Atze nennt und allgemein: das schmuddelige Berlin hochleben lässt, das in ihrer Nachbarschaft nahezu vollkommen verschwunden ist.
Vor diesem Hintergrund macht es wiederum auch Sinn, dass vor allem MC Bomber und der ebenfalls zur Usptruct-Familie gehörende Shacke One in ihren Texten den Harten machen: Es hagelt Beleidigungen, es wird gefickt, gesprüht, gehauen und billiges Speed geschnupft. Und zwar so doll, dass zum Beispiel das SO36 MC Bomber unlängst nicht bei sich auftreten ließ, weil dieser sich ihnen gegenüber nicht von seinen als sexistisch empfundenen Texten distanzieren wollte. „Warum sollte ich auch. Ich weiß, dass ich kein Sexist bin und wie meine Musik aufzufassen ist“, so der Künstler.
Tatsächlich tauchen zahlreiche Sex und auch Drogen verherrlichende Zeilen in seinen Songs auf. In einem rappt er, unverkennbar Rollenprosa reimend: „Feiern und Ficken sind am Wochenende Standard, das Beste ist, wenn Torten schon in der Disko nichts anhaben, bist du eine prüde Sau, rat ich dir zu gehen, Bruder.“ Solche Zeilen sind bei MC Bomber dabei stets in kurze Erzählungen eingebettet, die einem einen Einblick in die schmuddeligen Ecken der Hauptstadt bieten. Wenn MC Bomber beispielsweise auf „Abenteuer Alkohol“ eine übel durchzechte Nacht schildert, dann ist das klar als Storytelling zu erkennen, als literarische Bearbeitung einer Begebenheit, die sich möglicherweise so zugetragen haben könnte, genauso gut aber reine Fiktion sein könnte. Rap gewordene Suffliteratur à la Jörg Fauser quasi.
Dass diese Prosa den Programmmachern des SO36 nicht gefällt, ist ihr gutes Recht. Dem Künstler MC Bomber deshalb allerdings den Einlass zu seinen Hallen zu verwehren, offenbart einen inneren Zwiespalt linker Berliner Strukturen, die gegen die Gentrifizierung ankämpfen: Widerspricht einer scheinbar dem eigenen Wertekanon, wird er nicht mehr reingelassen, auch wenn dieser selbst von der Milieuveränderung der Berliner Innenstadt betroffen ist.
Das ist kurz gedacht, immerhin sprechen wir hier von Kunst. Kunst, die Realität in Fiktion verwandelt, die versucht, Unsichtbares sichtbar zu machen und sich ihren Platz im öffentlichen Raum lautstark und zugespitzt erkämpft, sowie dabei bewusst die größtmögliche Antihaltung zum kleinbürgerlichen Prenzlberg-Konsens einnimmt. Hier: von der genderprogressiven Wortwahl bis zur Schulwahl für die Tochter alles richtig machen. Dort: Molle und Korn als antibürgerliches Zugehörigkeitsgefühl mit den Verlierern und Abgehängten, zu denen man nur so halb gehört, weil man doch eigentlich auch für gut bezahlte Jobs und Loftwohnungen berufen wäre.
Mal abgesehen davon: Diese jungen Männer als Apostel einer altmodischen Sexualmoral abzutun ist auch insofern grob vereinfachend, konterkarieren sie ihre derben Texte doch immer wieder auch mit Kritik an unserer Arbeitswelt, Beschimpfungen des Pegida-Sumpfs oder, wie auf dem neuen Bomber-Album, amüsant-selbstoffenbarendem Sprechen über die eigene Bienenphobie. Schönheit und Hässlichkeit, Spaß und Ernst, Moral und Unmoral liegen da nah beieinander.
Fleiß bei der Arbeit
Hier wiederum liegt auch der Link zu der Bahn mit den Blumenkästen, eine Aktion, die man wahlweise als kriminelle Verschandelung oder als kreative Verschönerung öffentlichen Raums begreifen kann. Auch diese Aktion verkörpert den Gestaltungswillen eines Freundeskreises, der sich nicht damit zufrieden geben mag, dass aus Berlin momentan ein Ort wird, an dem kein Platz mehr für Regelbrüche, Anarchie und ein zelebriertes Lotterleben sein soll.
Nicht jeder will in einer schönen, effizienten Stadt leben. Auf den Punkt bringt MC Bomber diese Lebensphilosophie in dem Song „Fleiß bei der Arbeit“: „Es trug sich so zu, dass sie mir in der Neunten sagten: ‚Suche dir einen Betrieb und lern‘, wie sich die Leute plagen dort, hilf den Werktätigen, so gut es geht, denn später arbeitest du genauso wie ein Spast für die Kohle.“
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