: Nicht tot. Noch nicht
Abschied Das Festival Foreign Affairs endete mit einem Totentanz. Die letzte Ausgabe des Festivals lud zur Wiederbegegnung mit alten Helden der Performance ein. Ein berührender Rückblick
von Katrin Bettina Müller
„I’m not dead“ steht auf dem Bändchen, das man als Zuschauer um das Handgelenk bekommt. Es gehört zur Performance „From the dark“ der britischen Gruppe Forced Entertainment. Ihr gehörte die letzte Nacht des Festivals Foreign Affairs im Haus der Berliner Festspiele, von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang spielten sie. Auf der Bühne erzählen die elf Mitspieler in intimen Monologen von ihren Ängsten. Aber das sind nur kurze Passagen in einem ansonsten aufreizend langsamen Ritual, das in drolligen Tierkostümen Tod und Auferstehung nachahmt.
Was mach ich hier eigentlich? An den Tagen mit all den Nachrichten von so vielen Toten, in Nizza auf der Strandpromenade, in der Türkei, fühlt es sich da nicht verdreht und überflüssig an, Stunde um Stunde im Theater zu hocken? Macht das alles nicht schon genug Angst, muss man auch hier noch der Furcht in sehr persönlichen Monologen begegnen? „I’m not dead“. Vielleicht ist das Zusammenkommen hier auch eine Bestätigung, eine Feier, dass man noch lebt.
Die Luft wird knapp
Für das Eröffnungstück, „En avant, marche!“ von Alain Platel galt das sicherlich. Ein alternder Posaunist, dem die Atemluft ausgeht, nicht aber der Lebenshunger, nicht die Wut über die Krankheit, zieht eine ganze Blaskapelle in einen Wirbel hinein von sich aufbäumender, rasender Energie.
Auch im vorletzten Stück auf der großen Bühne, „The blind poet“ von der flämischen Needcompany, geht es in einem von sieben Monologen um die Bedrohung durch die Krankheit Krebs. Die Performerin Grace Ellen Barkey, die davon erzählt, wird am Ende von ihren Kollegen auf ein totes Pferd gehoben, das alle mit vereinten Kräften bewegen, als ob es noch lebendig wäre. Sie zieht an den Zügeln und winkt. Ein schauriges Bild von Abschied, voll von Trauer, aber auch von Zuneigung.
Das Festival Foreign Affairs, das fünf Jahre lang bildende Kunst, Tanz, Performance und Musik zusammenbrachte, endete mit dieser Ausgabe. Thomas Oberender, der Intendant der Berliner Festspiele, die Träger des Festivals waren, will einen neuen Schwerpunkt setzen bei den immersiven Künsten. Der Begriff, der aus der virtuellen Realität des Internets kommt, meint das Eintauchen in andere Wirklichkeiten – Künste, die keine Zuschauer, sondern Mitspieler brauchen.
Der Abschied glich einem Rückblick. Mit den flämischen Truppen von Platel und der Needcompany und den brititschen Marathon-Erzählern Forced Entertainment hat der Kurator Matthias von Hartz, die alten Recken einer Performance-Kultur noch einmal versammelt, die vor gut drei bis vier Jahrzehnten begannen, mit ihren subjektiven Geschichten, mit der offengelegten Konstruktion ihrer Theaterabende, das Erzählen auf der Bühne zu verändern. Sie waren Avantgarde und hatten großen Einfluss. Sie haben sich selbst verändert. Es ist keine Zuversicht mehr in ihrem Blick auf die Welt. Das verbindet sie.
In „From the Dark“ zitieren Forced Entertainment frühere Stücke. „Once upon a time“ ist einer der Erzählanfänge, mit dem sie um Spannung und Aufmerksamkeit konkurrieren. Einer beginnt, der Nächste fällt ihm ins Wort, verändert Motive. Ein König hatte drei Töchter, die er sehr liebte. Ein König hatte drei Töchter, die er hasste. Ein Paar hatte zwei Kinder, das waren echte Arschlöcher, so beginnt dann die dritte Geschichte. Es sind die schnell geschnittenen Szenenwechsel, die auch den Zuhörer fordern. Und mittendrin den Bogen schlagen in die Gegenwart. Da war einmal ein König, der wollte wissen, was absolute Macht ist, beginnt Claire Marshall eine Geschichte, und dann inszenierte er einen Putsch gegen sich.
Oft aber bleiben das nur kurze Blitze. So wird in den Monologen über die Angst, die zwischen kleinen und großen Bildern springen, auch die Befürchtung gestreift, in einem Land zu leben, das sich von allen anderen isoliert. Nur manchmal geht die Verunsicherung tief, wie bei Jerry Killick, den die Angst einholt, so zu werden wie die, die er lange gehasst und bekämpft hat. Weil er bestimmte Privilegien nicht verlieren möchte. Weil er fürchtet, dass die Grenzen seines Denkens zu eng gesteckt sind, um noch die ganze Welt zu begreifen. Weil er merkt, wie sich Intoleranzen einschleichen. Eine zutiefst verstörende Selbsterkenntnis.
„From the Dark“ zelebriert die Verlangsamung. Alte Schallplatten mit alter Tanzmusik werden abgespielt, mit müden Gesten Party simuliert am Rande der Bühne. Dazwischen ist Totentanz, in Tierkostümen behaupten die Darsteller, „alive“ zu sein oder „dead“, oder sie lassen sich hinter einem Tuch wegzaubern. Das heißt, jeder sieht die Weggezauberten wegkriechen, auf allen vieren; die durchschaubare Illusion hat viele skurrile Varianten.
Schließlich tritt auch eine große Gruppe von Skeletten auf, die das Spiel vom Wegzaubern nachahmen wollen, aber unbeholfen daran scheitern. Der Tod kann sich nicht wegzaubern, er kann nicht einmal so tun, als ob. Das alles sind gespenstische Clownsnummern, komisch in immer neuer Varianten des Misslingens.
Irgendwie scheint diese letzte Performance des Festivals vor allem durch ihre unfassbare Entschleunigung auch dem Müde- und dem Älterwerden abgetrotzt. „ I’m not dead“. Noch nicht.
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