Falschmeldungen im Netz: Teile und herrsche
Aufregung, Klick, geteilt: Die meisten Nutzer lesen nicht mehr als die Überschrift. So können sich Fake-News leicht verbreiten. Das hilft Hetzern.
„Alles Satire“ steht oben. Darunter finden sich dann Holocaustrelativierungen, Bürgerwehrpropaganda und Flüchtlingshetze: Willkommen auf der Seite schutzengel-orga.de.
Eine der vielen Seiten, die die Frage aufwerfen, ob alles, was sich im Internet Satire nennt, auch Satire ist. Oder ob sich überhaupt alles Satire nennen darf, was sich Satire nennt. Vor allem aber stellt sich die Frage, welchen Schaden es anrichten kann, wenn Fake-News, gefälschte Nachrichten, durchs Netz schweben.
Die Nachrichten, die schutzengel-orga.de verbreitet, sind zumeist blanker Unsinn. „Der 3. Weltkrieg soll im August 2016 beginnen!“, steht da; oder: „Alarm für Deutschlands Kindergärten – Warum deutsche KITAs keine deutschen Kinder mehr nehmen“.
Dass es Fake-News im Internet gibt, ist nicht neu. Ebenso wenig, dass sie regelmäßig viral gehen – über Facebook und Twitter verbreitet werden – und Verschwörungstheoretikern jeder Couleur in die Hand spielen, oder gleich aus deren Händen stammen.
Liken und Sharen
Ihr Erfolgsmodell ist simpel und effektiv, weil es auf die Ignoranz und Faulheit setzt. Eine schmissige Überschrift erzeugt in den Lesern einen kurzen Moment der Rage, der sie durch einen Klick auf den Like- oder Share-Button bei Facebook Ausdruck verleihen.
Eine Studie an der Columbia University und des Microsoft Research Inria Joint Centre hat herausgefunden, dass 59 Prozent der Links zu Nachrichten von etablierten Medien (u. a. CNN, Huffington Post, New York Times) nicht geklickt werden: Dass also nur die Überschrift wahrgenommen wird. Das ist bei ausgewogenen, recherchierten Artikeln ärgerlich, gefährlich wird es aber, wenn Menschen von diesem Effekt profitieren wollen.
hoax-info.de
Die amerikanische Seite fakenewswatch.com kennt drei Kategorien von Fake-News:
1. Fake-/Hoax-News, die bewusst Unsinn verbreiten, meistens um Menschen reinlegen.
2. Satireseiten, die im Prinzip das Gleiche machen, dabei aber lustig sind, als Satire erkannt werden und häufig noch eine tiefere, politische Aussage haben.
3. Clickbait schließt alle News mit ein, die dazu da sind, schnell die Aufmerksamkeit der Nutzer einzufangen, häufig durch verfremdete Darstellungen echter Geschehnisse.
Häufig, so fakenewswatch.com, seien hierbei Verschwörungstheoretiker zugange. Von der Definition her scheint also diese dritte Kategorie am ehesten rechte Hetze zu beschreiben.
„Wenn Leute Fake-News verbreiten, geht es ihnen meistens um Aufmerksamkeit. Manche wollen natürlich auch bewusst schaden“, sagt Frank Ziemann, seit zwanzig Jahren Betreiber der Seite hoax-info.de.
Ziemann sammelt auf der Seite, die er für die TU Berlin betreibt, Fake-News, die ihm Nutzer melden. Ursprünglich wurde sie gegründet, um über die Gefahren von Viren zu warnen. Mittlerweile geht es viel um Fake-News.
Ein Beispiel aus dem Januar 2016: Es handelt von einem 13-jährigen Mädchen, das angeblich von zwei Flüchtlingen vergewaltigt worden sein soll. Zahlreiche Medien verbreiteten die Nachricht. Erst Wochen später das Eingeständnis: ein Fake.
Verschwörungstheorien
Da war die Stimmung gegenüber Flüchtlingen aber bereits weiter vergiftet worden. Verschwörungstheorien zu Chemtrails, der Deutschland GmbH oder Reptiloiden im Bundestag verbreiten sich ebenfalls auf diese Weise.
Kurze Empörung der Leser lässt sie einen Artikel teilen, der viral geht und durch die enorme Verbreitung wiederum Authentizität suggeriert: Wenn Hunderttausende das teilen, muss doch etwas dran sein. Rechte Gruppen nutzen die Viralität, die falsche Tatsachen über soziale Netzwerke erlangen können, für ihre Zwecke.
„Der Unterschied zwischen Fake-News und Satire ist, dass die einen bewusst falsche Dinge streuen wollen, aus welchen Gründen auch immer, und die anderen auf gesellschaftliche Absurditäten hinweisen möchten“, sagt Peer Gahmert, einer der beiden Betreiber der Seiten Die-Luegenpresse.de und freier Autor für das Online-Satiremagazin Postillon.
Die eine Website sammelt Falschmeldungen rechter Hetzer aus dem Netz, die andere macht Satire. „Wir haben ‚Die Lügenpresse‘ Ende 2014 gegründet, als Pegida gerade immer größer wurde. Die Idee war, all den Lügen und der Voreingenommenheit im Internet etwas entgegenzusetzen.“
„Lügenpresse“
„Verschwörungstheorien sind die Vernunft der Idioten“, steht auf der Seite hoax-info.de von Frank Ziemann. Er selbst fühlt sich mittlerweile ziemlich immun gegen Fake-News. „Aber ich weiß auch, wo ich mich informieren kann, wenn mir so etwas unterkommt. Viele Leute nehmen solche Sachen einfach nur hin.“
Vor allem unter Menschen rechts der politischen Mitte haben traditionelle Medien an Glaubwürdigkeit verloren. „Lügenpresse“ wird sie geschimpft. Fake-News helfen mit, diese Medien weiter zu diskreditieren.
Dadurch, dass falsche Informationen genauso verbreitet werden wie wahre, weiß mancher nicht, was wahr ist und was nicht. „Das ist sicher ein Teil des Problems“, meint Ziemann, „auch wenn man das natürlich nicht messen kann.“
„Die Leuten sollten sich einfach angewöhnen, Artikel komplett zu lesen“, sagt Peer Gahmert: „Mein Tipp: Geht doch mal zur Schule, lernt doch mal ein paar Jahre was. Und wenn es sein muss, braucht es vielleicht eine Funktion bei Facebook, dass man Dinge erst nach drei bis fünf Minuten teilen kann. Wenn es wirklich wichtig ist, teilt man das auch nach fünf Minuten noch. Wenn man sich aber nur kurz aufregen will, ist das nach fünf Minuten vielleicht wieder vorbei.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil