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Abes rechtsnationalistischer Kurs gestärkt

JapanWähler ebnen der von Ministerpräsident Shinzo Abe angepeilten Verfassungsreform den Weg

AUS TOKIO Martin Fritz

Bei der Teilwahl zum Oberhaus am Sonntag hat Japan wieder einmal anders getickt als der Westen: Man entschied sich für Kontinuität statt Wandel. Dabei baute die rechtsnationale Regierung von Premierminister Shinzo Abe ihre Mehrheit deutlich aus, obwohl die Unzufriedenheit mit seiner Wirtschaftspolitik Abenomics und dem Pro-Atomkraft-Kurs hoch ist.

Die Jungwähler unter 30 unterstützten Abe stärker als die Senioren, weil derzeit fast jeder Schul- und Universitätsabgänger eine Anstellung findet. Zudem gab es kaum Proteststimmen. Die zuvor in Umfragen recht hoch gehandelten Kommunisten konnten die Zahl ihrer Mandate nur auf sechs verdoppeln. Lediglich die viertniedrigste Wahlbeteiligung seit dem Krieg war ein Indiz für die verbreitete Apathie des Wahlvolks.

Jedoch bereiteten sich die Japaner mit ihrer Risikoscheu eine schöne Bescherung: Die Rechtsregierung und ihre Verbündeten verfügen nun über eine Zweidrittelmehrheit in beiden Kammern des Parlaments. Diese Supermehrheit gibt den Rechten die historische Chance, erstmals seit fast 70 Jahren die japanische Verfassung zu ändern.

Vielen Wählern war dies offenbar gar nicht klar, weil wichtige Medien wie der öffentlich-rechtliche Fernsehsender NHK vor dem Wahltag über die hohe Wahrscheinlichkeit einer Super­mehrheit und ihrer Folgen in vorauseilendem Gehorsam nicht berichtet hatten. Auch in vielen anderen Medien war die Wahl kaum ein Thema.

Regierungschef Abe will Japan von der „Schande“ befreien, dass die Verfassung nach dem verlorenen Weltkrieg von der US-Besatzungsmacht geschrieben wurde. Das zeigt sich sowohl im Pazifismus-Artikel 9, der Japan das Führen von Kriegen und den Unterhalt einer Armee verbietet, als auch im seltsamen Japanisch des Dokuments, das aus dem Englischen übersetzt wurde.

Abe möchte sich mit der ersten Änderung der Verfassung seit 1947 in die Geschichtsbücher eintragen. Allerdings signalisierte sein Partner, die Komei-Partei, am Wahlabend, dass man den Pazifismus-Artikel nicht ändern will. Prompt kündigte Abe an, bei der Reform nichts zu überstürzen.

Doch hat seine Partei bereits einen Entwurf in der Schublade liegen. Das Dokument schränkt die Bürger- und Freiheitsrechte ein und vereinfacht künftige Änderungen. Weil eine neue Verfassung jedoch eine Volksabstimmung erfordert, will Abe die Wirtschaft stärker ankurbeln und mit zusätzlichen Staatsausgaben die Konsumstimmung verbessern. Dann hätte das Referendum bessere Chancen. Zudem dürften die Medien weiter eingeschüchtert werden. „Es wäre naiv, vor der Volksabstimmung eine freie Debatte zu erwarten“, meinte Regierungskritiker Koichi Nakano.

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