: Die Schisser verlieren immer
ANGST Noch können sich übervorsichtige Teams in die nächste Runde mogeln – noch
von David Joram
Jaaah! Endlich geht es richtig los, also wirklich. Die K.-o.-Runde hat begonnen, die schlechtesten der schlechten Teams sind weg, die besseren werden ihre Scheuklappen ablegen. Die Fußballsaison nähert sich ihren Höhepunkten, den höchsten seit zwei Jahren, seit Götze im Maracanã einen Moment fürs kollektive Gedächtnis geschaffen hat. Darauf hofft der deutsche Fan.
Spielt die Löw-Elf nicht, zieht’s einen trotzdem vor den Bildschirm. Ist halt Fußball. Trotzdem sehnt man guten Fußball herbei. Im Achtelfinale nicht unbedingt den vom Allerfeinsten, aber ein bisschen was will man schon sehen. Heute spielen Spanier und Italiener gegeneinander. Da geht was, da muss was gehen! Das dachte man auch vom Duell zwischen Kroaten und Portugiesen. Das Resultat: null Torschüsse nach 90 Minuten. 30 Gruselminuten später war Portugal dann weiter. Quaresma hatte getroffen, Ronaldo vorgelegt. Die Spielnote: eine glatte Sechs, verbunden mit Augenkrebs der eher unheilbaren Sorte.
Wenn sich heute Abend also zwei Teams duellieren, die zusammen fünf Weltmeisterschaften und vier Europameisterschaften auf sich vereinen, muss nichts gehen. Es besteht lediglich die Aussicht, dass etwas gehen kann. Das hat uns die EM gelehrt. Echter Fußball also, getreu einem Sepp-Herberger-Zitat: „Die Leute gehen ins Stadion, weil sie nicht wissen, wie es ausgeht.“
All jene, die darauf beharren, dass Fußball eben nicht als unterhaltendes Abendprogramm für die TV-Anstalten und -Gestalten erfunden wurde, werden sich freuen. Völlig legitim und ein gutes taktisches Mittel sei es, wenn sich die Portugiesen einigeln. Als clever, ausgefuchst und listig beurteilt man nun den Herrn Fernando Manuel Costa Santos, Portugals Trainer. Dabei hat er gerade mal das erste Spiel dieser EM mit seinem Team ganz lumpig gewonnen. Trotzdem gilt er seit Samstagabend als neue Defensivkoryphäe. Als sei’s der neue Josep Guardiola i Sala, der ja als offensivster aller Philosophen gilt. Santos wäre dann wohl das defensive Gegenstück dazu. Oder ist er es gar wirklich?
Muss der Name Santos künftig ebenso respektvoll ausgesprochen werden wie der von Helenio Herrera, dem Catenaccio-Erfinder? Oder sollte er zumindest in einer Reihe mit Huub „Die Null muss stehen“ Stevens genannt werden? Weder noch. Santos wird nicht als Defensivkünstler in die Geschichtsbücher eingehen, selbst wenn er sich – wie 2004 Otto Rehhagel mit den Griechen – zum Titel mauern sollte. Das liegt daran, dass es bereits viel zu viele Coaches dieser Gattung gibt.
Bereits in der Kreisliga B wissen halbwegs geschulte Trainer, wie eine Mannschaft defensiv arbeiten muss, wie ein Stürmer anzulaufen hat, wie die Abwehrkette verschieben sollte. Das hat nichts mit einer guten Taktik zu tun. Es hat etwas mit Angst zu tun, Angst vor den Qualitäten des Gegners, vor der eigenen Courage und am allermeisten vor dem Versagen. Die Furcht vor der großen Blamage ist deutlich ausgeprägter als die Hoffnung auf einen glanzvollen Triumph. Also wird allzu häufig auf einen konservativen Spielstil vertraut. Kurzfristig bewahrt dies vor größeren Rückschlägen.
Langfristig bleibt das Zerstörerische hinter dem Schöpferischen zurück. Nur scheint kaum ein EM-Coach bereit, das Gleichgewicht in diese Richtung zu verschieben. Deshalb könnte Italiens Mauertaktik gegen Spanien sogar funktionieren. Auf lange Sicht setzen sich aber immer die kreativen Lösungen durch. Hoffen wir, dass das heute schon der Fall ist.
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