: Mit Flüchtlingen gegen Linke
Verdrängung In Berlin werden Teile eines autonomen Hausprojekts geräumt. Angeblich soll Wohnraum für Geflüchtete entstehen. Ist das nur Wahlkalkül des Innensenators?
aus Berlin Volkan Agar
Einst war der sogenannte Nordkiez in Ostberlin die Hochburg der Besetzerszene. Heute sind wenige Hausprojekte und Szenekneipen übriggeblieben. Trotzdem kommt es dort seit Monaten immer wieder zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Alternative Räume geraten dabei immer mehr in Bedrängnis.
Mittwochmorgen begann die Räumung von Teilen des seit 1990 besetzten Hausprojekts Rigaer94. Die Hausverwaltung Pawel Kapic ließ mit Unterstützung von 300 Polizisten, Securitymitarbeitern und Bauarbeitern die Szenekneipe Kadterschmiede, eine Werkstatt und einen Dachboden entleeren.
„Weil die Hausverwaltung uns darum gebeten hat, ist die Polizei unterstützend vor Ort“, teilte ein Polizeisprecher mit. Am Donnerstag dauerten die Räumungsarbeiten noch an. Auf die Nachfrage, wie lange diese noch dauern würden, konnte Innensenator Frank Henkel (CDU) im Abgeordnetenhaus keine Auskunft geben. Die Polizeisperre, die die Rigaer Straße 91 bis 95 umfasst, blieb zunächst bestehen.
Viele am Ort des Geschehens, so auch Oliver Höfinghoff von der Piratenfraktion, sehen in der überraschenden Räumung eine Wahlstrategie von Innensenator Henkel (CDU). Henkel ist Spitzenkandidat für die Wahl zum Abgeordnetenhaus in Berlin, die am 18. September stattfindet. „Der Zeitpunkt der Räumung scheint nicht zufällig gewählt“, stellte Höfinghoff deshalb fest. Nachdem die Berliner CDU gegenwärtig kein gutes Bild abgebe, seien solch harte Maßnahmen das Ergebnis einer Suche nach neuen „Schlachtfeldern“. Die Grüne Canan Bayram sieht das ähnlich. Auf Twitter schrieb sie: „Weil Innensenator Henkel nix geregelt kriegt, muss er sich mit Ich-hab-Polizei in der Rigaer inszenieren“.
Aufsehen unter BewohnerInnen des Hausprojekts und RäumungsgegnerInnen erregte dagegen ein Statement der Hausverwaltung. In diesem hieß es, dass „die beiden zu räumenden Flächen im Erdgeschoss ab sofort instandgesetzt und an Flüchtlinge“ vermietet werden würden. Die Vereine Moabit hilft und Friedrichshain hilft kritisierten diese Absichtserklärung als „zynisch“. Denn einerseits würde die Rigaer Straße Geflüchteten ohnehin schon als „Begegnungs- und Rückzugsort“ dienen. Andererseits seien die Mietpreise im Bezirk so hoch, dass sich Geflüchtete den Wohnraum nicht leisten könnten, heißt es in der Pressemeldung beider Vereine. Die BewohnerInnen der Rigaer94 erklärten auf ihrer Website deshalb, dass mit der Räumung versucht werde, die Interessen von Geflüchteten und BewohnerInnen in einen Widerspruch zu bringen: „Wir werden uns nicht gegeneinander ausspielen lassen“, antworteten sie auf die Hausverwaltung. Bei ihrer Erklärung verwiesen die BewohnerInnen auf einen ähnlichen Fall: Auf dem Gelände der Wagenburg „Radikal Queerer Wagenplatz Kanal“ in Berlin-Neukölln sollen unter der Federführung von Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey ebenso neue Unterkünfte für Flüchtlinge entstehen. Konflikte gibt es auch hier.
Am Mittwochabend riefen verschiedene Berliner Hausprojekte zu Protesten auf. In Innenstadtbezirken kam es in der Nacht zu Sachbeschädigung. Die Berliner Polizei teilte mit, dass sie strafrechtliche Ermittlungen wegen Landfriedensbruch, Brandstiftung und Sachbeschädigung eingeleitet habe. Trotzdem werden für die nächsten Tage weitere Proteste angekündigt: „Wie es aussieht, müssen wir uns auf eine längere Belagerung im Haus einstellen“, kündigte das Hausprojekt Rigaer94 an.
Meinung + Diskussion
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen