: Die Rebellion des Selbermachens
Nische Der Künstler Oliver Fabel macht aus Stadtgeschichten Kulturprodukte, die zum Denken anregen. Auch wenn die Berliner Bewegung „Marke Eigenbau“ jenseits der industriellen Produktion vorbei sein mag: Für ihn ist sie nach wie vor ein Erfolgsmodell
von Susanne Messmer
Dass sich das Büro von Oliver Fabel ausgerechnet in dieser Gegend befindet, ist ein hübscher Zufall. Hier in der Kopenhagener Straße ist es, als wäre die Zeit stehen geblieben. Der Bürgersteig ist breit, überall stehen Bänke und Blumenkübel herum, fast jede Freifläche um jeden Baumstamm ist liebevoll umzäunt und bepflanzt. Man denkt an den DDR-Film „Solo Sunny“, der hier zum Teil gedreht wurde und von einer Sängerin erzählt, deren Verhältnis zur Obrigkeit sich sehr poetisch in den damals abbruchreifen Altbauten der Straße spiegelt. Man denkt aber auch an die neunziger Jahre, in denen man hier riesige Wohnungen zu lächerlichen Preisen bekam und nicht viel arbeiten musste, um angenehm leben zu können.
Es ist ein sonniger Nachmittag, der Künstler Oliver Fabel nimmt den Vorschlag gern an, das Gespräch draußen auf der Straße auf der Bank zu führen. Der Blick geht auf einen kleinen Kühlschrank und einen Umzugskarton mit alten Büchern, die irgendjemand auf die Straße gestellt hat – „geht noch“ und „zu verschenken“. Oliver Fabel, ein blasser Mann mit feinen Gesichtszügen und goldener Brille aus den Fünfzigern, lächelt ein wenig versonnen.
Lebensgefühl einfangen
Denn nun sind wir im Gespräch und beim ersten seiner Kulturprodukte. Fabel entwickelt diese aus kleinen Stadtgeschichten, die das Lebensgefühl in dieser Stadt einfangen, das nach wie vor so viele Kreative anzieht. In diesem Fall ist Oliver Fabel durch seinen Kiez flaniert und hat den üblichen Sperrmüll fotografiert, den die Berliner gern vor ihre Tür stellen, um sich den Gang zum Recyclinghof zu sparen. Dann hat er die Fotos von alten Kunstlederstühlen, Kratzbäumen, Spiegelschränken und Kassettenrekordern zu einem Quartett sortiert – und sich für jedes Objekt Kategorien überlegt: welche Begehrtheit, welchen Stil, Zustand, welches Gewicht und welchen Wert es hat.
Warum ausgerechnet Sperrmüll? Oliver Fabel lehnt sich zurück und blinzelt in die Sonne. Er will es mal so sagen: Für ihn ist der Ramsch nicht einfach nur Ramsch, sondern ein Ausdruck der starken Zivilgesellschaft in dieser Stadt. „In Berlin gehört der Bürgersteig den Bürgern“, sagt er und weist noch einmal mit kleiner Geste auf die Kopenhagener Straße. „Andere Leute mögen es hier dreckig finden“, fügt er dann an. „Ich beobachte lieber Leute, die hier einfach ihre Fernseher auf die Straße stellen, wenn Fußball ist. Alle, die vorbeikommen, sind eingeladen, sich dazuzusetzen.“
Als Oliver Fabel, der in Kassel aufgewachsen ist und in Weimar Kunst studiert hat, 2001 nach Berlin kam, hatte die Rebellion des Selbermachens gegen die industrielle Massenproduktion gerade erst begonnen. Eine Art Bewegung, der auch er angehört, wie er zugeben muss. Damals retteten sich auf einmal viele Bastler, Tüftler und Erfinder in die Selbstständigkeit, gründeten kleine Existenzen, verkauften plötzlich handgebastelte Filztaschen für Handys, produzierten verdrehte Lampen in kleinen Stückzahlen oder verkauften edle Schokoladen anstatt täglich in irgendein Büro zu radeln und auf den Bandscheibenvorfall hinzuarbeiten. Viele von ihnen konnten damit arm, aber glücklich überleben.
Aber was ist daraus geworden, aus dem Traum einer selbst organisierten Mitmach-Ökonomie jenseits der industriellen Produktion? Steht sie noch an, die Revolution des D.I.Y. in Berlin, trotz steigender Mieten und Verdrängung, trotz boomender Start-up-Szene, in der es eher ums große Geld geht als um gute und meist auch recht vernünftige Werte wie Selbstverwirklichung?
Oliver Fabel zuckt mit den Schultern und legt wieder eine dieser bedächtigen Redepausen ein. Nur so viel ist klar: Demnächst muss der Künstler aus seinem Laden raus, es wird saniert. In einer Straße, die nur annähernd so schön und besinnlich ist wie die Kopenhagener, wird er Probleme haben, einen neuen Laden zu finden. Tja, und dann auch das Holy Shit Shopping – jener Design-Weihnachtsmarkt, auf dem sich seit 2004 die Szene trifft und manche Designer berichten, sie würden dort ihre Existenz fürs nächste halbe Jahr sichern. Der läuft auch nicht mehr so gut.
Kein Geld für das Schöne
„Jedenfalls nicht mehr so wie am Anfang“, sagt Fabel. „Ich habe das Gefühl, als würden die Leute heute kein Geld mehr ausgeben für einen schönen, aber nutzlosen Gegenstand, der einfach nur zum Denken anregt.“ Es folgt eine weitere Redepause. „Lieber kaufen sie sich die neueste Elektronik“, fügt er dann an. „Oder einen besonders tollen Essig oder einen exquisiten Stadtbienenhonig vielleicht.“
Aber ist Oliver Fabel ein Dino – nur weil er nicht längst auf lukrativere Sparten umgesattelt hat, auf Apps oder Food? Noch sieht es nicht so aus.
Da ist zum Beispiel der Bestseller des Künstlers, der ihm die Existenz sichert: ein Krippenspiel im Schuber, in dem es nur schlichte, beschriftete Buchenholzklötze gibt statt der heiligen Familie, den Königen, Hirten, dem Ochs und Esel – eine Krippe also, die ebenso gut aufs formschöne Sideboard aus den Sechzigern passt wie unter den Weihnachtsbaum des frischgebackenen Germanistikstudenten. Für Businesskunden gibt es ab 20 Krippen 20 Prozent Rabatt, so zu erfahren auf der Website.
Nach wie vor verkauft sich das simple Produkt hervorragend, sagt Fabel. Und das Emailleschild „für urbane Penner“, wie er es sagt, das mit der Aufschrift „Prekariat“? „Geht auch nicht schlecht“, sagt er, und „hat es immerhin bereits in eine Ausstellung geschafft“.
Vielleicht braucht es auch einfach nur ein wenig Kulturoptimismus. Vielleicht kann man auch in Nischen überleben, wenn diese Nischen kein Massenphänomen mehr sind – wenn sie kein Hype mehr sind.
Oliver Fabel jedenfalls fühlt sich nach wie vor auf dem aufsteigenden Ast – mitten in seiner kleinen, beschaulichen Welt in der Kopenhagener Straße.
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