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Die kleinen Krabbler

AUFSTIEG Ameisen? Hier oben im fünften Stock? Den Balkon muss man sich eben mit allerlei teilen

Plötzlich waren da Ameisen. Sicher: Über deren atemberaubende Fähigkeiten glaubt man allerlei zu wissen (und manches weiß man tatsächlich). Trotzdem: Dass es diese kleinen Krabbler in den fünften Stock geschafft haben – erstaunlich. Und warum ausgerechnet jetzt, in diesem unsteten Frühling?

Es war wohl dieser Lorbeer aus dem Supermarkt. Erst seit der da steht in seinem Terrakotta-Topf, im gelegentlich ganz schön mediterranen Mikroklima – wenig Wind, halbwegs viel Sonne und Wärme speichernde Putzwände drumherum –, dann wieder begossen vom ganz und gar unmediterranen Hamburger Niederschlag; also erst seitdem jedenfalls krabbelt es derart gehäuft auf dem Balkon. Läuft hier hin und da, das Geländer rauf und die Hauswand wieder runter, übers selbst sich erhaltende lebendige und tote Grünzeug, das sich die paar Töpfe und Kästen teilen muss.

Als durchschnittlich entfremdeter Großstädter reagierte ich mit Bestürzung: Ameisen, das ist doch auch so was, wogegen sie dir im Laden allerlei Kriegsgerät andrehen wollen, irgendwelche Köder und Zeug, das tödlich klebt, so sehr, dass nicht mal die Kraft, dich selbst so und so oft selbst hoch zu heben, reicht, um wieder los zu kommen.

Alles völlig unnötig. Bisher respektieren die kleinen Arbeitstiere den Unterschied zwischen drinnen und draußen. Tatsächlich hat sich in die Wohnung – obwohl die Schwelle ja nur eine Behauptung von Hindernis ist – noch keine Ameise gewagt, zumindest nicht erkennbar. Das kommt dann vielleicht, wenn es draußen wieder ungemütlich wird. Oder wenn das Amselpaar zu viel Unruhe stiftet, das neuerdings immer Äste und Zweige aus Töpfen und Kästen fischt, um sich dann, ein kleines Mikado-Spiel im Schnabel, hinabzustürzen, um irgendwo ein Nest zu bauen – auf einem anderen Balkon.

alexander diehl, 41, stellvertretender Redaktionsleiter taz.nord, mag Lorbeer im Topf.

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