piwik no script img

Psychogramm einer Missbrauchten

Oper Christof Loys verknüpft in Richard Strauss’ „Daphne“ an der Staatsoper Hamburg Charakterstudie und Nationalsozialismus

Strauss hat Daphne auch akustisch vommythologischenGriechenland nach Bayern gebeamt

Am Ende schnappen die Handschellen zu: Ein SS-Kommando führt Daphne ab. Sie hat gemordet, aus seelischer Notwehr. An der Staatsoper Hamburg gelingt es Christof Loy mit seiner Inszenierung von Richard Strauss’Musiktheater „Daphne“, die weibliche Charakterstudie mit der historisch schwierigen Entstehungszeit zu verbinden.

Es braucht nicht viel, um klarzumachen, wo die schüchterne Daphne ihr Dasein fristet: Dirndl, Bierkrüge, Lederhosen – Bayern in Oktoberfest-Stimmung. Und das ist durchaus in der Partitur von Richard Strauss angelegt. Er hat die Erzählung von Daphne auch akustisch vom mythologischen Griechenland in seine Heimat gebeamt. Ziemlich zu Beginn tönt ein Alphorn, und in Loys Inszenierung kippt die Stimmung ins Aufreizende.

Vor einem Bretterzaun und dem Eingang zum Wirtshaus wiegen Kellnerinnen ihre Hüften, waschen Schäfer ihre nackten Oberkörper, während sie Daphne taxieren, die ihre Pflanzen pflegt. Auch ihr Jugendfreund Leukippos bedrängt sie. Sie verweigert sich, es zieht sie zur Natur, zur Sonne und zum Baum ihrer Kindheit, den sie „Bruder“ nennt.

Strauss hat Daphne eine hoch sinnliche Sehnsuchtsmusik geschrieben. Loy entwickelt alle Szenen aus der Musik. So auch Daphnes Begegnung mit dem Sonnengott Apollo, der sie fast verführt. Daphne reißt die Hand hoch, stoppt ihn – und Dissonanzen unterbrechen abrupt den Klangrausch.

Agneta Eichenholz ist Daphne. Ihr heller, leicht spröder Sopran passt perfekt zum Charakter – gerade auch in Loys Deutung. Strauss und sein Librettist Joseph Gregor haben den mythologischen Daphne-Stoff ausgehend von Ovid psychologisiert. Hier knüpft Loy an. So zeigt er szenisch, dass Daphne von ihrem Vater Peneios bedrängt wird, wenn nicht gar zum Missbrauch gezwungen.

Als die Uraufführung der Oper 1938 in Dresden über die Bühne ging, war Strauss schon nicht mehr Präsident der Reichsmusikkammer. Gleich 1933 wurde er zum obersten Musikfunktionär des NS-Staates. Trotzdem hielt er an seinem jüdischen Librettisten Stefan Zweig fest – ihr Briefwechsel führte zum Eklat. In einem Brief, der in die Hände Goeb­bels’gelangte, schrieb Strauss: „Ich mime“ doch nur den Präsidenten. 1935 entließ ihn ­Goebbels, während Strauss mit der Arbeit an „Daphne“ begann.

Loy deutet die Oper als Dokument für Strauss’innere Emigration im NS-Staat, verlegt deshalb die Handlung nach Bayern. Sicher kein Zufall, dass der Anführer des SS-Kommandos am Ende der Inszenierung dem alten Strauss ähnelt. Wie eine Fußnote unterstreicht Loy Strauss’Zwiespalt zwischen innerem und äußerem Erleben. Daphne verwandelt sich nicht wie im Mythos in einen Lorbeerbaum, sondern lässt sich verhaften, nachdem nicht wie im Original Apollo, sondern sie Leukippos erstochen hat. Ihr Schlussgesang kommt aus dem Off.

Musikalisch entfesselt das Philharmonische Staatsorchester Hamburg die Kraft der opulenten Klangsprache Strauss’. Er hat eine Partitur geschaffen, die die verschiedenen Sphären der Handlung prägnant fasst und mit kammermusikalischen Passagen überrascht. Dirigent Michael Boder befeuert mit dem Orchester das Bühnengeschehen. Nur manchmal überdecken die Instrumente den Gesang. Dagmar Penzlin

So, 19. 6., 19.30 Uhr und Do, 23. 6., 18 Uhr, Staatsoper Hamburg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen