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Berghain heißt Emilia

Wissen Im sonnigen Berlin das verregnete Warschau besuchen: eine experimentelle Städtetour des Polnischen Instituts

Die Gruppe im Eingang des Henselmann-Hochhauses in Friedrichshain Foto: Grzegorz Karkoszka/Polnisches Institut Berlin

von Andreas Hartmann

Man steht vor dem Berghain, blickt auf Berlins berühmtesten Technoclub und hört gleichzeitig von den polnischen Stadtführern etwas von einem ehemaligen Möbelpavillon in Warschau, in der eine Weile lang ein Museum für moderne Kunst untergebracht war. Was wie eine Veranstaltung der surrealistischen Vereinigung Berlins klingt, war der am Wochenende unternommene Versuch des Polnischen Instituts, architektonische und städtebautechnische Parallelen zwischen der polnischen und der deutschen Hauptstadt in einer experimentellen Tour aufzuzeigen. Das Warschauer Pendant zum Berghain, in dem sich früher ein Heizkraftwerk befand, ist demnach das „Emilia“, in dem in letzter Zeit hauptsächlich Partys stattgefunden haben. Allerdings soll das Gebäude demnächst abgerissen werden, womit die Parallelen zu Berlin hoffentlich enden.

Man spazierte bei dieser virtuellen Warschau-Tour also durch Berlin, betrachtete ein bestimmtes Gebäude, bekam dazu aber von den polnischen Guides vor allem erzählt, was es mit dem Gebäude in Warschau auf sich hat, das die Stadtführer aus Polen zum direkten Vergleich herangezogen hatten. Oder es ging durch das Nikolaiviertel, das im Zweiten Weltkrieg zerstört und Ende der Achtziger grundrenoviert wurde, und bekam dazu etwas vom Aufbau der restlos zerstörten Warschauer Altstadt erzählt.

Mit Blick auf das im Bau befindliche Berliner Schloss erfuhr man etwas über die Debatten, die den Wiederaufbau des Warschauer Königsschlosses begleiteten. Immerhin leiteten ihn ausgerechnet Kommunisten, die es ansonsten mit Symbolen der Monarchie nicht so hatten.

Die beiden polnischen Architekturtheoretiker, die so Warschau anhand von Berlin erklärten, hielten bei ihren Ausführungen auch nicht damit zurück, dass sie den möglichst originalgetreuen Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses für einiges zweifelhafter halten als den des Warschauer Königsschlosses. In Warschau ging es darum, eine schmerzlich sichtbare Leerstelle im Zentrum der Stadt zu schließen. In Berlin dagegen wusste bis vor ein paar Jahren kaum noch jemand, dass dort, wo in der DDR der Palast der Republik hingestellt wurde, mal irgend so ein Schloss gewesen sein soll.

Hatte man zu Beginn der Warschau-Berlin-Tour noch das leise Gefühl, so mancher Vergleich der beiden Hauptstädte könnte auch ein wenig an den Haaren herbeigezogen sein, erwies sich das Konzept des Polnischen Instituts in der Praxis als ziemlich schlüssig. Im Nikolaiviertel saßen natürlich ausschließlich Touristen herum, die sich in vermeintlich typisch deutscher Postkartenidylle Schweinebraten mit Knödeln aßen und sich in den Nippes-Shops für Berliner Bären aus Plüsch begeisterten. Genauso saß man ja selbst einmal als Städteurlauber in der Warschauer Altstadt, aß dort Pierogi und wunderte sich darüber, dass in diesem immer noch etwas künstlich wirkenden Herzen Warschaus nach 22 Uhr nichts mehr los war – ganz so wie daheim im Berliner Nikolaiviertel.

Besonders anschau­liche städtebauliche Vergleiche liefert der Wohnungsbau

Besonders anschaulich lassen sich städtebauliche Vergleiche zwischen Warschau und Berlin natürlich am Wohnungsbau in der Zeit des real existierenden Sozialismus ziehen. Eher schmucklose Plattenbauten oder sozialistische Prachtbauten im sogenannten Zuckerbäckerstil finden sich zuhauf in der Karl-Marx-Allee – genauso wie in der Andersa-Straße in Warschau. Wobei die polnische Tourbegleiterin Beata Chomątowska, die auch über Plattenbauten in Berlin und Warschau forscht, anmerkte, dass die Platte heute in beiden Städten ein unterschiedliches Image genieße. In Warschau gebe man es nicht so gern zu, wenn man in der Platte wohnt, den Berlinern sei das eher egal, oder es würde gar von Hipstern versucht, diese zu verkulten.

Bei all den Ähnlichkeiten, die zwischen Berlin und Warschau herausgearbeitet wurden, wollten die Veranstalter aber nicht darauf verzichten, auch auf klare Unterschiede hinzuweisen. Man wurde also auf einen Parkplatz vor dem Roten Rathaus geführt, der „Nichterinnerungsort“ genannt wurde. Gedenkstätten an die Zerstörung Berlins, darauf wurde an dieser Stelle verwiesen, gebe es aus nachvollziehbaren historischen Gründen nicht. In Warschau – man denke da nur an das wuchtig heroische Denkmal des Warschauer Aufstands – dagegen schon.

Am Ende der Tour wurde noch über Handy Kontakt mit Warschau aufgenommen, wo zeitgleich zum Berliner Stadtrundgang zwei deutsche Architekturkenner den Polen ihre Hauptstadt anhand von Berlin erklärten. Warschau meldete sehr viel Regen und ein wahres Unwetter. Da war man wirklich froh, in Warschau gewesen zu sein, ohne es besucht zu haben.

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