: Milch der frommen Denkungsart
Weide-Garantie
Seit 2014 laufen die Vorbereitungen, und das ließe eigentlich was richtig Kompliziertes und Innovatives erwarten. Davon kann aber die Rede nicht sein, auch wenn’s wichtig und ‘ne feine Sache ist: Am Dienstag wird in Hannover ein Milch-Siegel vorgestellt, das im Grunde nur bestätigt, was das Normalste von der Welt wäre, nämlich: Dass die Kühe, aus deren Euter diese Milch floss, tagsüber auf der Weide standen, frisches Gras grasten und auf satten, erdigen Boden ihre Fladen pladdern ließen. Und dieses Siegel wird das mithilfe nachvollziehbarer Kriterien wirklich garantieren und nicht nur als leeres Werbeversprechen auf der Packung prangen.
Ja doch, so weit ist es schon: Dafür braucht es eine besondere Kennzeichnung. Rund ein Drittel der Kühe in Deutschland verbringen ihr Leben komplett in Ställen, obwohl ihre Halter genügend Fläche besitzen müssen, um den Mist unterzubringen.
Betriebswirtschaftlich kann es wenigstens sinnvoll scheinen, Mais für Futter und Biogasanlage anzubauen und die Kühe im Stall zu lassen: Das spart den Auftrieb, der ab einer gewissen Bestandsgröße – industrielle Milchviehhalter betreiben in Niedersachsen bereits Anlagen mit 800, ja 1.000 Milchkühen – logistisch kaum zu bewältigen ist. Es verhindert Gewitterverluste, und wenn die Rinder Gensoja-Kraftfutter malmen, vergiften sie sich nicht mit Johanniskraut.
Die Rückkehr zur Weide braucht auch deshalb so viel Zeit, weil die deutsche Agrarwissenschaft infolge des Trends zur Ganzjahres-Stallhaltung zum Weidemanagement wenig geforscht hat: Man hinkt deshalb anderen in der Frage hinterher, wie man bei konventioneller Milchviehhaltung neben der Produktionsoptimierung so exotische Parameter wie Umweltbelange (Grünland ist ökologisch und für den Klimaschutz wichtig), Gesundheit (der Anteil wertvoller Omega3-Fett-Säuren ist bei Freilandmilch viel höher) und Verbraucherinteresse (die Kunden wollen in Deutschland lieber keine Milch trinken, in der sich Spuren von gentechnisch veränderten Pflanzen aus dem Kraftfutter enthält) mitbedenken kann.
So scheint sich zwar niemand groß für die kostensparende aber ertragsschwache Ganzjahres-Weidehaltung im Kuhparadies Irland zu interessieren. Aber das Heumilch-Regulativ in Österreich gilt als großer Erfolg – und noch besser nach Niedersachsen zu verpflanzen ist das weidemelk-Konzept aus den Niederlanden: Um entprechend zertifiziert zu werden muss der Betrieb dort garantieren, dass seine Kühe wenigstens 120 Tage im Jahr und an denen je sechs Stunden „in de wei lopen“. Gestartet ist das Programm 2011. Mittlerweile hat Weidemilch dort einen Marktanteil von 80 Prozent. bes
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