Die Philosophie lautet, den Älteren die Hemmungen zu nehmen und Selbstvertrauen durch Erfolgserlebnisse aufzubauen: der Reiterhof Pferde-Schulze Foto: M. F. Krämer

Wenn die Angst dem Glück weicht

Reiten für Erwachsene Im Wendland bei Pferde-Schulze lernen vor allem Ältere den Umgang mit dem Pferd. Auf die besonderen Bedürfnisse dieser Zielgruppe hat sich der Reiterhof spezialisiert

von Sabine Kaiser

Auf Pferdekoppeln rund um die Reithalle stehen, liegen oder wälzen sich etwa 30 Pferde in allen Farben, Größen und aller Rassen. Kleine Shetland-Ponys sind dabei, aber auch beeindruckende Hannoveraner, die vom Boden bis zum Widerrist, wo der Pferdehals in den Rücken übergeht, gut 1,70 Meter messen. Die Herde strahlt Ruhe aus, einige trinken, andere knabbern am Heu, das aus einer großen Futter-Raufe quillt. Ein Pferdeleben hier scheint nicht das schlechteste zu sein, überhaupt ein Leben hier, denkt, wer vor gut anderthalb Stunden die Großstadt in Richtung Wietzetze im Wendland verlassen hat und nun die ersten Entspannungsversuche unternimmt, beim Blick über die Wiesen und Getreidefelder, die sich bis zum nahen Waldrand erstrecken.

Bevor die Gedanken an Stadtflucht überhand nehmen, kommt Janina mit Halfter und Führstrick. „Du kannst schon mal Gypsy von der Weide holen, die muss vorm Satteln noch geputzt werden, das zeige ich dir alles.“ Pferd von der Weide holen, als Anfänger? Was, wenn es nicht mitkommen will – und wie werden die anderen Pferde reagieren? „Heute komme ich mit dir, morgen machst du das bestimmt allein.“ Die Reitlehrerin ist zuversichtlich. Die Wahl fiel auf die Stute Gypsy nach einer eingehenden Unterhaltung mit Janina, es wird nach Reiterfahrung gefragt, wie sportlich man ist, ob gesundheitliche Probleme vorliegen.

„Man muss die Menschen scannen: Wie sind sie?“

„Man muss die Menschen scannen: Wie sind sie physiologisch drauf, wie psychisch“, erklärt Johann-Bernd Schulze, der Inhaber des Reitstalls. „Wir haben mit der Spezialisierung auf erwachsene Reiter, vor allem auf erwachsene Reitanfänger, einen Nerv getroffen. Wir legen Wert darauf, unsere Gäste individuell anzusprechen und gehen auf mögliche Ängste ein“, sagt der Pferdefachwirt und Reitlehrer.

Den Betrieb Pferde-Schulze im Landkreis Lüchow-Dannenberg gibt es bereits seit 1974; Schulzes Vater investierte als einer der ersten in der Region in die Freizeitreiterei, baute eine Reithalle und Boxen für Pensionspferde. Mitte der 80er-Jahre übernahm der Sohn, setzte verstärkt auf Reittourismus und kaufte den Landgasthof mit Hotel unweit der Reithalle. Wer statt klassisch im Einzel- oder Doppelzimmer im Hotel lieber in unmittelbarer Sicht- und Hörweite der Pferde wohnen möchte, kann eines der drei 50 Quadratmeter großen Holzchalets direkt auf der Reitanlage mieten.

Gypsy lässt sich problemlos das Halfter über den Kopf streifen, ein leichter Zug am Führstrick zeigt allerdings keine Wirkung. „Lauf einfach los, schau in die Richtung, in die du laufen möchtest, sie kommt dann schon mit, mach dir nicht so viele Gedanken“, coacht Janina. Gypsy läuft tatsächlich mit zum Putzplatz und Sattelkammer. Das flaue Gefühl im Magen schwindet. Nach einem ausführlichen Grundkurs im Pferdeputzen und Satteln beginnt die erste Stunde in der Reithalle. Da die anderen Gäste bereits weiter fortgeschritten sind, wird kurzerhand eine Einzel-Anfängerstunde ins Leben gerufen, eine weitere Reitlehrerin übernimmt die Gruppe.

Auch komische Erlebnisse kommen zur Sprache

Am Abend des ersten Tages wird mit den anderen Reitern bereits beim Essen im Gastraum gefachsimpelt, Erfahrungen werden ausgetauscht, auch komische und peinliche Erlebnisse kommen zur Sprache. Oder Ängste, wie die, zu galoppieren, obwohl man schon Monate lang Reitstunden nimmt. „Wenn Erwachsene reiten lernen wollen und mit 13-jährigen Mädchen zusammen lernen sollen, bei denen alles so leicht aussieht, ist das oft mit großen Hemmungen verbunden. Man denkt dann: Die Kinder können schon alles und ich komme nicht mal rauf aufs Pferd!“, sagt Schulze. Darum laute die Philosophie, den Älteren die Hemmungen zu nehmen und Selbstvertrauen durch Erfolgserlebnisse aufzubauen.

Das gelte vor allem für die männliche Kundschaft, die in immer größerer Zahl Reitferien buche. „Niemand soll das Gefühl haben, sich lächerlich zu machen. Und keinesfalls darf es heißen: ‚So ein gestandener Mann, der kann doch wohl keine Angst beim Reiten haben.‘ Das ist blanker Unsinn“, sagt Schulze.

Noch überwiege die Zahl der Frauen, die sich für den Reitsport begeistern, „aber bringen die ihre Männer mit, gehen die oft so ehrgeizig und wissbegierig ran, dass sie ihre Frauen schnell einholen“, berichtet der ausgebildete Landwirt. Aber er hat Verständnis für jene, die nicht sofort vor lauter Begeisterung brennen, denn er hat sich selbst zunächst herangetastet ans Pferd, der Vater war die treibende Kraft: „Als kleiner Junge wollte ich eigentlich lieber Fußball spielen, musste aber schon früh das Reitabzeichen machen.“ Sein Vater setzte sich durch.

Es folgte eine Karriere als Berufsreiter, die Trainer-Ausbildung bis zur A-Lizenz – die höchste, die die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) vergibt – sowie die Teilnahme an Landesmeisterschaften. Trotz aller Professionalität fehlen die harten Methoden des Profi-Reitsports bis hin zur Tierquälerei, die Tierschützer anprangern, bei Schulze. Als am zweiten Tag die Fuchsstute Lisa beim Reitunterricht partout nicht mehr am Hallentor vorbeigehen will und Haken schlägt, als würden hinterm Tor Raubtiere lauern, sodass auch ihr versierter Reiter und selbst die Reitlehrerin nicht weiterkommen, löst Bernd-Johann Schulze das Problem – mit Ruhe und vom Boden aus. Er lässt absitzen, murmelt etwas, greift die Zügel des Pferds und kommt der Hallentür immer näher. Lisa beruhigt sich und geht nach mehreren Runden locker an der Tür vorbei, als sei nichts gewesen.

Was, wenn ein Wildschwein aus dem Unterholz bricht?

Ein Pferdeleben hier scheint nicht das schlechteste zu sein, überhaupt ein Leben hier, denkt, wer vor anderthalb Stunden die Großstadt in Richtung Wietzetze im Wendlandverlassen hat

Wer die sogenannte M-Woche bucht, absolviert an vier Tagen sechs Reiteinheiten. Je nach Wetterlage finden sie in der Halle oder auf dem Reitplatz statt, nachmittags stehen Ausritte auf dem Programm. Dafür ist der Mischwald um Wietzetze prädestiniert, viele Wege sind als Reitwege ausgewiesen, und sich auf dem Pferderücken im Schritt­tempo durch das Grün schaukeln zu lassen, ist in den ersten Minuten aufregend. Schließlich könnte es Wildschweine und Rehe im Wald geben, und Pferde sind bekanntlich Fluchttiere, keine Bande ist da, die Schutz bietet – bald aber weicht die leichte Angst dem großen Glück.

Entspannt sind auch die Pferde, die dicht an dicht hintereinander gehen und aufgrund der artgerechten Haltung auf der Koppel mit offenem Stall ohnehin genügend Bewegung haben und nicht die Ausritte nutzen müssen, um sich mal richtig auszutoben.

Die Beinmuskeln brennen, doch Stolz macht sich breit

Am letzten Tag, beim Abschluss-Ausritt in kleiner Gruppe, zwei Schüler und die Reitlehrerin, treiben auch die Anfänger schon ihre Pferde vom Schritttempo in den Trab, die Bäume ziehen schneller vorbei, die Konzentration nimmt zu und die Reiter rufen ab, was in den Reitstunden zuvor geübt wurde. Die Beinmuskeln brennen und ein wenig Stolz macht sich breit.

Zurück am Stall verschwinden Sattel und Trense in der Sattelkammer, Hufe auskratzen ist schon Routine, am Halfter läuft Gypsy Schulter an Schulter mit dem Reiter zur Koppel, als wäre es nie anders gewesen. Zu Abschied bekommt sie eine Möhre, die Pferdekumpels kommen neugierig näher. Dann dreht man das Pferd mit dem Kopf Richtung Stallwand – so kann es nicht einfach losrennen zu den anderen – streift zum letzten Mal das Halfter ab – und wirft noch einen langen, letzten Blick auf die Herde.

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