: Ethnografische Poesie
Film Robert Gardner bezog in seinen Dokumentationen stets Position. Das Arsenal widmet ihm eine Werkschau
von Carolin Weidner
„Der Grund, sich immer wieder den beträchtlichen Schwierigkeiten zu stellen, die mit der Produktion solcher Filme einhergehen, hat seinen Ursprung in einer unbescheidenen Hoffnung: dass der Film seine Zuschauer vielleicht davon überzeugen kann, dass sich die Menschen letztlich nicht allzu sehr voneinander unterscheiden. Die zentralen Belange des Films – menschliche Gewalttätigkeit und Sterblichkeit, sind für jeden genauso wichtig wie für die Menschen im Film“, sagte Robert Gardner einst, befragt nach der Motivation seines Schaffens.
In „Rivers of Sand“ von 1973 ist im letzten Drittel eine junge Frau zu sehen, die auf der Erde liegt. Über ihr: eine Hand, die einen Stein hält und auf den Hals der Frau zielt. Mehrmals schlägt sie fest zu. Und es klirrt. Denn der Stein trifft nicht ihren Hals, sondern einen eisernen Ring, der um den Hals geschlungen ist und mit jedem Schlag ein bisschen mehr verschlossen wird. Zweimal war der US-amerikanische Filmemacher (und Gründer des Harvard Film Study Centers, dem er zwischen 1957 und 1997 vorstand) nach Äthiopien gereist. In das Gebiet der Hamar, eines indigenen Volks im Südwesten des Landes. „Rivers of Sand“ ist ein ethnografischer Dokumentarfilm, doch einer, der Position bezieht. In ihm stellt sich Gardner auf die Seite der Hamar-Frauen, deren Leidensfähigkeit ihn fasziniert. Eine von ihnen, Omali Inda, wird zur Stimme der Hamar, sie berichtet vom partnerschaftlichen Miteinander: Schläge gehören genauso zum Alltag wie das Wasserholen, das allein von den Frauen besorgt wird. Tief ins trockene Flussbett müssen sie hierfür graben.
In einem Interview zum Schneideprozess des Films befragt, sagte Gardner: „Ständig wurde ich daran erinnert, dass ich besonders die Männer der Hamar nicht leiden konnte. Und ich glaube, mein Empfinden wäre auch kein anderes gewesen, hätte es die Frauenbewegung nicht gegeben.“ „Rivers of Sand“ ist als Kommentar zur Gleichberechtigungsdebatte lesbar. Gardner selbst kommt im Film zu Wort, reflektiert über sich, arrangiert und montiert tendenziös.
Dennoch ist „Rivers of Sand“, den man sich während der kurzen Hommage auf Robert Gardners Werk im Kino Arsenal vom 21. bis zum 29. Juni nicht entgehen lassen sollte, viel mehr als das. Als Gardner 2014 bald neunzigjährig verstarb, reagierte die Harvard University ihrerseits mit einer kompakten Filmschau, in der Brittany Gravley insbesondere auf die von Gardner stets bewahrte, feine Balance zwischen intellektueller Poesie und objektiver Ethnografie hinwies. Eine Balance, möglicherweise aufgrund zweier Herangehensweisen Gardners erst zu bewerkstelligen: „Ich glaube nicht, dass Anthropologie ihrer Aufgabe gerecht wird, wenn sie wertungsfrei bleibt“, bekundete er einerseits. Und 1965 vermerkte er: „Es ist ganz offensichtlich, dass nur ein bestimmter Typ Mensch ethnografische Filme machen wird – es werden vor allem jene sein, die in der Lage sind, die profunde Affinität zu erkennen, die zwischen dem Medium Film und dem Wunsch, den Menschen zu verstehen, existiert.“
Alle Filme Gardners stehen im produktiven Spannungsfeld dieser beiden Aussagen. „Forest of Bliss“ von 1985, mit dem „Das filmische Universum von Robert Gardner“ eröffnet, trifft sein Statement gerade damit, nicht zu kommentieren. „Forest of Bliss“ weht über einen hinweg und fasst einen doch gleichsam an: Ein Tag in Varanasi (vormals Benares), der heiligen indischen Stadt am Ganges, der mit dem Aufgang der Sonne beginnt und schließlich mit ihrem Untergang endet, bildet den Rahmen des Films. Zwischendrin sind zahlreiche rituelle Handlungen zu sehen, Tempelbesuche, Todesmessen, Ringelblumen – und alles in ständiger Nähe zum Fluss, in dem Leichen treiben und Blütenblätter und auf dem sich die Sonne spiegelt. Auch Gardners erster Langfilm, „Dead Birds“, 1963, ist Teil der Reihe. Er führt ins Hochland von Neuginea, wo Gardner die Dani trifft, welche sich in permanenten kriegerischen Auseinandersetzungen befinden, da ihre Tradition es gebietet, jeden Tod zu sühnen. Außerdem zeigt das Arsenal Gardners Kurzfilm „Mark Tobey“ (1952) über den gleichnamigen befreundeten Maler sowie Robert Fenz’ Hommage an Gardner „Correspondence“ (2011). Ein konzentrierter Ausschnitt eines verdienstvollen Opus.
Das filmische Universum von Robert Gardner: Arsenal Kino, Potsdamer Str. 2, 21.–29. 6., www.arsenal-berlin.de
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