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Keine einfache Liebe

Abschied Sieben Jahre lang hat Wilfried Schulz „Gebrauchstheater“ für den städtischen Diskurs in Dresden angeregt und damit das Staatsschauspiel verändert

Wilfried Schulz Foto: Matthias Horn

von Michael Bartsch

Das verflixte siebente Jahr soll das kritischste einer Ehe sein. Aber wenn Wilfried Schulz, Intendant des Staatsschauspiels in Dresden, nun nach sieben Jahren Richtung Düsseldorf wechselt, blickt er nicht im Zorn auf seine Zeit in der Stadt zurück. Zorn ist allerdings im Programm zu spüren, etwa bei der Inszenierung von „Graf Öderland. Wir sind das Volk“ nach Max Frisch. Auch Chefdramaturg Robert Koall, der mit Schulz ein unzertrennliches Tandem bildet, konnte seinen Dresden-Frust manchmal kaum verbergen, nachdem er sich mit markanten und leidenschaftlichen Texten in die Debatte über Pegida und die konservierend-konservativen Milieus in Dresden eingebracht hatte.

Der Intendant aber lässt sich nicht frustrieren, findet zum Abschied eher differenzierende, ja aufmunternde Worte. „Man identifiziert sich ja mit der Stadt, und ich gehe auch nicht leichten Herzens“, sagte er jüngst in einem Interview. Schulz wusste schon 2009 ungefähr, worauf er sich in und mit Dresden einlässt. Die Entscheidung für den Wechsel nach Düsseldorf wiederum fiel schon vor rund zwei Jahren, also Monate vor dem Auftauchen von Pegida im Herbst 2014. Kunstministerin Eva-Maria Stange, die in ihrer ersten Amtszeit für die Einstellung des Intendanten verantwortlich zeichnete, erklärte unumwunden ihr Bedauern. „Es hat mich einfach gereizt, ein so neues und großes Projekt anzufangen“, begründet Schulz seine Zusage in Düsseldorf. Welchen Einsatz ihm dieses „Projekt“ hinsichtlich der Probleme beim Bau und mit der NRW-Administration abverlangt, bekommt er gerade zu spüren.

Der kleine, unscheinbare Mann, der sich nie in den Vordergrund drängt und alles andere als eine „Rampensau“ ist, stieß in Dresden 2009 dennoch auf einige Widerstände. Aber das immer noch auf Ost-West-Ressentiments beruhende Gegrummel über eine neue Mannschaft von „Neurotikern“ verstummte bald. Schulz verlangte auch von der Staatsregierung einiges, zum Beispiel einige Millionen für Umbauten vor allem am großen Schauspielhaus. Der Intendant, der anders als sein Vorgänger Holk Freytag, nicht selbst inszeniert, verlor zwar einige Traditionalisten unter den Zuschauern, sprach aber neue und vor allem jüngere Kreise an und führte mit etwa 250.000 Besuchern jährlich das Dresdner Staatsschauspiel in die Spitzengruppe deutscher Bühnen. Und er erweckte im formal freistaatlichen Schauspiel den Begriff des Stadttheaters zu neuem Leben und füllte ihn mit neuer Bedeutung.

„Das Theater hat sich nicht dunkel und geheimnisvoll in eine Ecke gestellt und gewartet, wer da kommt. Sondern wir sind auf die Leute zugegangen und haben gesagt: Das ist der Ort, wo sich diese Stadt treffen kann, wo Menschen ihre Themen besprechen und auf der Bühne wiederfinden können.“ So beschreibt Schulz treffend sein Programm. Das Theater als Haus des Diskurses, das sich mit den Themen der Stadt auseinandersetzt, über den Frontalunterricht des Guckkastens hinausgehend. Von „Graswurzelarbeit“ spricht der scheidende Intendant. Erst in Richtung Finale verwendete er dann ausdrücklich den Begriff vom „politischem Theater“, herausgefordert von Pegida, dem Rechtstrend in der Gesellschaft und dem Umgang mit Flüchtlingen.

Mit dieser Agenda ist der manchmal schlitzohrig lächelnde Intendant aber nicht über Dresden hergefallen. Im Gegenteil. In der ersten Spielzeit schien eher Goethes Wort „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen“ zu gelten. Verglichen mit der oft unglücklichen Ambitioniertheit seines Vorgängers Holk Freytag schien sogar eine gewisse Beliebigkeit einzuziehen. Schenkelklopfer saßen häufiger im Publikum, wurden bedient und lachten nicht immer an den passenden Stellen. An Brecht-Lesarten wie die des jungen Hausregisseurs Tilmann Köhler musste man sich erst gewöhnen.

Das Haus rang um angemessene und wirksame Antworten auf die Straße

Zunehmend drehte das Team Schulz aber auf. Spätestens seit Shakespeares „Maß für Maß“ mit zwölf original nachgespielten Minuten einer fremdenfeindlichen Kundgebung zum Spielzeitauftakt im Herbst 2015 gibt es sogar Stimmen treuer Theatergänger, denen manches inzwischen zu „plakativ“ ist. Hinter den Kulissen rang zu dieser Zeit das gesamte Haus und die durchaus nicht homogene Belegschaft um angemessene und wirksame Antworten auf die Straße. Alle stellten sich die Frage der Relevanz des Thea­ters gerade für jene Unerreichbaren.

Man kann es Schulz, Koall und den anderen Dramaturgen nur hoch anrechnen, dass sie diese Themen- und damit Dresden-Bindung über den Ehrgeiz gestellt haben, um jeden Preis in der Spitzengruppe deutschsprachiger Bühnen mitzuspielen. Überregional wird Dresden aber wieder deutlicher wahrgenommen. Der scheidende Intendant spricht sogar von seinem Theater als einem „guten Botschafter der Stadt“. Auf jeden Fall sei der Versuch gelungen, „sich in jeder Hinsicht zu öffnen“, das Schauspiel zu einem „Gebrauchstheater“ zu entwickeln.

In erster Linie denkt er dabei an das Erfolgsmodell Bürgerbühne, das nun wirklich bundesweit als Vorbild dienen kann. Zuvor gab es zwar schon den Bürgerchor, mit seiner Gestaltung von Hauptmanns „Webern“, unter dem Regisseur Völker Lösch 2007 geradezu berühmt geworden. Aber eine so breite Beteiligung wie an der Bürgerbühne, von insgesamt etwa 2.000 Bürgern, die entweder ihre eigenen Stoffe wie Midlife-Crisis, Geld, Dynamo-Fußball abarbeiteten oder klassische Sujets auf ihre Weise verhandelten, kannte Dresden noch nicht.

Jelinek, Herrndorf, Pollesch

Wilfried Schulz sprach neue und jüngere Kreise an. 250.000 Besucher kamen pro Jahr Foto: David Baltzer

Im gar nicht so kleinen Kleinen Haus auf der Dresdner Neustadt-Seite zogen sie direkt oder indirekt ein erhebliches Publikum an. In der Sächsischen Schweiz animierte Regisseur Uli Jäckle ganze Dörfer zur Mitarbeit an seinen Open-Air-Spektakeln. Leiterin Miriam Tscholl wird der Bürgerbühne auch unter dem künftigen Intendanten Joachim Klement (ab Sommer 2017) treu bleiben.

Im Kleinen Haus setzten auch zeitgenössische Autoren Akzente. Lutz Hübner war hier nicht nur mit der Uraufführung seines Erfolgsstücks „Frau Hübner muss weg“ Stammgast, sondern auch mit „Exempel“, einer Farce zur sächsischen Justiz. Thomas Freyer, Elfriede Jelinek, Dirk Laucke, Wolfgang Herrndorf, Christian Lollike, René Pollesch, Rimini Protokoll oder Juli Zeh standen auf dem Programm. Auf der großen Bühne bleiben unter den zeitkritischen Stoffen besonders „Schöne neue Welt“, die „Lehman Brothers“, der „Turm“, aber auch „Des Teufels General“ oder die legendär gewordenen Klassiker „Don Carlos“ oder „Hamlet“ in Erinnerung. Ein relativ stabiles Ensemble, bei dem die „Importe“ aus Schulzens voriger Wirkungsstätte Hannover und die Dresdner Alteingesessenen harmonierten, trug zum Erfolg bei.

Wilfried Schulz weint Dresden zumindest eine versteckte Träne nach. Immerhin hat er hier ein Kind gezeugt. Er schreibt der Stadt nicht einmal mehr eine Sonderrolle, sondern eher eine exemplarische für die rechtspopulistische Entwicklung in ganz Europa zu. Was an seinem unerschütterlichen Glauben nichts ändert, dass sich „die Vernunft der Einzelnen und der Geschichte durchsetzen“. Die beiden Nachfolger für die Interimsspielzeit bis zum Amtsantritt von Joachim Klement im Jahr 2017, der bisherige Betriebsbüro-Leiter Jürgen Reitzler und die Dramaturgin Beate Heine, schalten mit einem äußerst ambitionierten Spielplan im Schulz-Sinn sogar noch einen Gang hinauf.

Viele Inszenierungen sind nun zum letzten Mal zu sehen, die Spielzeit endet am 26. Juni. Am Samstag, 11. Juni, gibt es ­Abschiedslieder, tags darauf einen Abschiedsbrunch

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