piwik no script img

Würmer, Turbo-Hypo, Elektroakupunktur

Allergie Mit dem ersten Pollenflug beginnt das Niesen der Millionen.Neue Ansätze und Therapien auch aus der Komplementär-medizin geben Allergiegeplagten Hoffnung auf Linderung

von Mirjam Beile

Fluch der modernen Gesellschaft: Millionen Deutsche plagen sich mit Allergien vom Soforttyp – und es werden immer mehr. Entsprechend groß ist die Auswahl an Medikamenten und Therapieformen, die die lästigen Symptome lindern oder gar beseitigen sollen. Das Angebot wächst stetig.

Eckard Hamelmann, Leiter des Kinderzentrums Bethel in Bielefeld und Sprecher des Allergie Centrums Ruhr, will noch vor der gängigen Methode ansetzen, den Körper an die fehlgerichtete Immunreaktion zu gewöhnen. Viel wichtiger findet der Professor nämlich die primäre Prävention, sodass Allergien erst gar nicht entstehen können. Hamelmann: „Die sogenannten Bauernstudien haben gezeigt, dass Landkinder seltener von Asthma, Neurodermitis und Nahrungsmittelallergien betroffen sind als Stadtkinder.“ Wir müssen umdenken, so sein Appell: Um sich vor Allergieentwicklung zu schützen, soll man allergieauslösende Stoffe nicht meiden, sondern sich sehr früh an sie gewöhnen.

Eine britische Studie zum Thema aktive Toleranzinduktion aus dem letzten Jahr hat am Beispiel von Erdnussallergien gezeigt: Wer schon Babys erdnusshaltige Nahrungsmittel verabreicht, kann die Kinder deutlich besser vor einer entsprechenden Allergie schützen als durch das strikte Weglassen. Hamelmanns Rat: keine Angst vor Allergenen in Nahrungsmitteln wie Fisch, Eiweiß oder Kuhmilch. „Darauf zu verzichten, ist eher kontraproduktiv. Auch für werdende Mütter“, sagt er.

Seit Jahren schon forscht Hamelmann an einer weiteren Methode, um Allergien einzudämmen: Auf Basis der parasitären Immunmodulation will er Würmern ihren Trick abschauen. Denn die Parasiten setzen sich in ihrem Wirt fest, wo sie nicht erkannt werden wollen, um nicht abgestoßen zu werden. So wird der Wurm im Körper toleriert, indem er gewissermaßen die Warnsignale drosselt – gleichzeitig auch solche, auf die normalerweise Allergien folgen.

Hintergrund Typ-I-Allergie

Allergien sind zur Volkskrankheit herangewachsen. Rund ein Drittel aller Deutschen ist betroffen – und muss sich mit Augenrötung und Tränenfluss, Fließschnupfen, Niesen und Husten herumschlagen. Symptome dieser Art gehen in der Regel auf die Typ-I-Allergie zurück, auch Soforttyp-Allergie genannt, weil sie eine Sofortreaktion der Haut oder Schleimhäute hervorruft. Sie ist mit rund 90 Prozent die häufigste Form der allergischen Erkrankungen – darunter der klassische Heuschnupfen, Asthma und Lebensmittelallergien, aber auch der gefährliche anaphylaktische Schock, der durch Insektenstiche, Medikamente und Nahrungsmittel ausgelöst werden kann. Warum das menschliche Immunsystem auf harmlose Substanzen in der Natur überreagiert – darauf haben die Wissenschaftler noch keine eindeutige Antwort. Fest steht: Die Wahrscheinlichkeit, bei familiärer Vorbelastung eine Allergie zu entwickeln, ist hoch.

Genial, solange für den menschlichen Körper alles im erträglichen Rahmen bleibt. Hamelmann: „Ich habe noch nie einen so starken Effekt bei der Immunmodulation beobachten können wie den beim Einsatz von Parasiten.“

Die Behandlung mit Wurmextrakten befindet sich allerdings noch in der Anfangsphase, bis zur etablierten Therapie ist es noch ein gutes Stück Wegs.

Matthias Augustin, Professor am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, hält die am häufigsten angewandte symptomatische Therapie, bei der Beschwerden und akute Reaktionen mithilfe von Antihistaminika erträglich gemacht werden, für ein probates Mittel. Für besonders schwere Formen von Asthma sind neue Biologika auf dem Markt, aus lebenden Zellen gewonnene Proteine. Diese maßgeschneiderten Medikamente haben eine höhere Zielgenauigkeit und dadurch weniger Nebeneffekte als etwa Kortison. Der Nachteil: Die Kosten sind extrem hoch, können pro Jahr bei bis zu 25.000 Euro liegen. Noch, denn für die Zukunft rechnet Professor Augustin mit deutlich sinkenden Preisen.

Um sich vor Allergieentwicklung zu schützen, soll man allergieauslösende Stoffe nicht meiden

Der Klassiker Hyposensibilisierung schlägt bei etwa 60 bis 70 Prozent der Patienten an. Bleibt der Erfolg aus und die Allergie in vollem Umfang da, sollte man sie unbedingt wiederholen. Augustin: „Patienten sollten sich erneut prüfen lassen, der Erfolg hängt auch vom Präparat und der Art der Verabreichung ab.“ Neben der Spritze (subkutan) ist mittlerweile auch die sublinguale Einnahme in Form von Tropfen oder Tabletten möglich. Wen die Dauer einer solchen Behandlung abschreckt – bislang war eine Spritze pro Monat über einen Zeitraum von drei Jahren notwendig –, kann aufatmen. „Der Trend geht zur Kurzzeit-Hyposensibilisierung“, sagt David Börner, Allergologe aus Berlin. So kann sich die Dauer auf nur wenige Wochen im Jahr verkürzen. Bei einigen Therapieschemata werden mittlerweile mehrere Injektionen pro Tag gegeben, um sie zeitlich noch mehr zu reduzieren. Hilfsstoffe werden beigefügt, die das Immunsystem zusätzlich stimulieren. Patienten berichten sogar von einem schnelleren Wirkungseintritt, erzählt Börner. Bislang lässt sich die „Turbo-Hypo“ allerdings nur bei manchen Allergenen anwenden.

Fast eine Art Geheimtipp ist die augmentierte Akupunktur, die Soforthilfe bei den lästigen Typ-1-Symptomen verspricht. abei werden die Nadelstiche der traditionellen chinesischen Medizin durch Elektrostimulation ergänzt. Unter lokaler Betäubung wird die Akupunktur im Nackenbereich durchgeführt – häufig reicht dabei eine Sitzung aus. Die Erfolgsquote ist mit der bei der Hyposensibilisierung vergleichbar, eine Wiederholung auch hier ratsam, wenn sich keine Verbesserung einstellt. Noch gibt es aber keine belastbare wissenschaftliche Studie zum Wirkungsnachweis. Auch übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen keine Kosten, diese liegen aber meist bei unter 100 Euro.

Viele Möglichkeiten also, die sich Typ-I-Allergikern bieten. Die Chancen auf Besserung stehen gut.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen