: Konflikt um Potsdams Stadtmitte
Neue Mitte Brandenburgs Landeshaupt- stadt will die Innenstadt an private Investoren verkaufen. Doch ein Bürger-begehren könnte den Plan platzen lassen
von Marco Zschieck
Vorkriegsfassaden und private Investoren versus DDR-Moderne und öffentlicher Raum: Der Streit, wie die Stadtmitte von Potsdam aussehen soll und wozu sie gut ist, spitzt sich zu. Ein Bürgerbegehren gegen den Abriss der dort bestehenden Gebäude und gegen den Verkauf öffentlicher Grundstücke hat mittlerweile so viele Unterschriften beisammen, dass es die Stadtpolitik wohl zu einem Bürgerentscheid zwingen könnte. Die Rathausmehrheit aus SPD, CDU und Grünen hält jedoch am seit Jahren gewählten Kurs fest. Die Zeichen stehen auf Konfrontation.
Gut 15.800 Unterschriften hat die Initiative „Potsdamer Mitte neu denken“ seit Anfang April bis Ende vergangener Woche gesammelt. Bei den Organisatoren ist man dementsprechend zufrieden. Nötig wären laut Kommunalverfassung etwa 14.000 gültige Unterschriften von Potsdamern, damit sich die Stadtverordnetenversammlung mit dem Thema beschäftigen muss.
Wann das genau passieren wird, ist noch nicht klar. Die Initiative will mit der Abgabe der Unterschriften noch abwarten. „Wir wollen vermeiden, dass ein möglicher Bürgerentscheid in den Sommerferien stattfindet“, so Sprecher André Tomczak. Denn in den Sommerferien wäre es schwieriger, das notwendige Quorum von 25 Prozent der Wahlberechtigten zu erreichen. Die Schulferien enden in Brandenburg am 3. September. Ein Bürgerentscheid wird fällig, wenn das Stadtparlament den Inhalt eines erfolgreichen Bürgerbegehrens mehrheitlich ablehnt.
Ein Fall fürs Gericht?
Bevor es dazu kommen kann, muss der Wahlleiter prüfen, ob das Bürgerbegehren auch formal zulässig ist – also im Einklang mit der brandenburgischen Kommunalverfassung steht. Die Frage ist spannend, denn dort heißt es: „Ein Bürgerentscheid findet nicht statt über die Aufstellung, Änderung und Aufhebung von Bauleitplänen.“
Gebaut wurde das heutige Hotel Mercure 1969 als Interhotel auf Anordnung von DDR-Staats- und Parteichef Walter Ulbricht. Es war damals das erste Hotel der DDR mit Fernsehern in jedem Zimmer. Das Viersternehotel verfügt über 210 Zimmer und 13 Konferenzräume.
Die Abrissdebatte begann mit dem Bau des Landtags mit der Fassade des früheren Stadtschlosses vis-à-vis. (mar)
Die Bauleitplanung wird im Wortlaut des Bürgerbegehrens zwar nicht erwähnt. Das Rathaus deutet aber eine andere Sichtweise an: Gleich mehrere solche Verfahren für Bebauungspläne in der Innenstadt wären betroffen, wenn das Bürgerbegehren Erfolg hätte. Teilweise begannen die Verfahren bereits vor dem Start der Unterschriftensammlung. Eine rechtliche Prüfung des Bürgerbegehrens findet jedoch erst statt, wenn die Unterschriften auch eingereicht sind. Setzt sich die Stadtverwaltung mit ihrer Sichtweise durch – gemäß der brandenburgischen Kommunalverfassung –, könnten die Unterschriften vorerst umsonst gewesen sein. Dann könnte es vor Gericht gehen.
Dass das Vertrauen in den Umgang der Rathausspitze mit Formen direkter Demokratie nicht besonders ausgeprägt ist, kommt nicht von ungefähr. Hintergrund ist der Umgang mit einem Bürgerbegehren gegen die Garnisonkirche im Jahr 2014. Dessen Organisatoren hatten mehr als 14.000 Unterschriften gesammelt und auf einen politisch symbolträchtigen Bürgerentscheid über den umstrittenen Wiederaufbau der Militärkirche gesetzt, vor der sich Hitler und Hindenburg 1933 die Hand schüttelten. Aus formalen Gründen konnte aber nicht über das privatrechtliche Bauvorhaben abgestimmt werden, sondern nur der Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) als Mitglied der Wiederaufbaustiftung beauftragt werden, in der Stiftung den Verzicht auf den Bau zu beantragen. Die Stadtverordnetenversammlung nahm diese Forderung an – und vermied so den Bürgerentscheid. Jakobs – selbst Befürworter des Kirchbaus – scheiterte daraufhin wenig überraschend mit dem Vorschlag zum Bauverzicht in der Wiederaufbaustiftung.
Auch diesmal positionierte sich das seit 2002 amtierende Stadtoberhaupt politisch klar. Er forderte die Potsdamer sogar mehrfach öffentlich auf, das Mitte-Bürgerbegehren nicht zu unterschreiben.
Die Rathausmehrheit hat die Konkretisierung des sogenannten Leitbautenkonzepts für die Mitte innerhalb von einem Monat durch die Gremien gepeitscht. Es sieht den Abriss des Fachhochschulgebäudes vor und den Bau von sogenannten Bürgerhäusern mit teilweise historisierenden Fassaden auf dem Stadtgrundriss aus der Vorkriegszeit.
Anfang Juni wurde das alles im Stadtparlament beschlossen. Darin sind neben gestalterischen Vorgaben auch schärfere Regeln für Grundstücksvergaben und der Bau von Sozialwohnungen festgelegt. Letztere sollen als Ersatz für 180 preisgünstige Wohnungen her, die der stadteigene Wohnungskonzern Pro Potsdam nach 2022 im benachbarten Staudenhof-Wohnblock plattmachen will. Investoren stehen bereits Schlange. Die Ausschreibung wird vorbereitet.
Doch der schöne Plan platzt, wenn die Grundstücke nach einem erfolgreichen Bürgerentscheid nicht verkauft werden können. Und mit dem Vorhaben, das benachbarte Hotelhochhaus Mercure abzureißen, ist die Stadt einstweilen auch ganz ohne Bürgerentscheid gescheitert.
Der kühne Plan der Stadtoberen sah vor, den Betrieb durch strenge Sanierungsziele so unattraktiv zu machen, dass der Eigentümer gern und günstig an die Stadt verkauft, die den 17-Geschosser aus der DDR-Zeit anschließend aus der Stadtsilhouette planiert. Statt des Vier-Sterne-Hauses sollte eine „Wiese des Volkes“ gegenüber dem Landtag angelegt werden – gleich an der vierspurigen Bundesstraße. Das war das Ergebnis eines mehr als 500.000 Euro teuren Werkstattverfahrens.
Doch der große Wurf wird wohl nicht umgesetzt: Das Gebäude zählt zum sogenannten Interhotel-Portfolio – dazu gehören neun große Hotels in Ostdeutschland. Ende Mai verkaufte der bisherige Eigentümer – ein US-amerikanisch-kanadischer Fonds – das Paket einem französischen Immobilienfonds, der langfristig an den Mieteinnahmen verdienen will. Potsdam bekam einen Korb.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen