Zeitgeschichte Christian Adam untersucht die Bücherwelten in Ost- und Westdeutschland nach 1945
: Grass auf Platz 17

Wer entdeckt den Nazi? Auslage einer Buchhandlung in Berlin 1947 Foto: Friedrich Seidenstücker/BPK

von Klaus Hillenbrand

Literatur im Nachkrieg – das bedeutet in den Augen der Nachgeborenen Böll, Seghers, Grass, Andersch; da erinnert man sich an Anne Franks Tagebuch oder Theodor Pliviers „Stalingrad“. Das sind die Autoren, die aus guten Gründen im Gedächtnis geblieben sind. Doch dass diejenigen, die mit Krieg, Nazis und Massenmorden gebrochen hatten und aus dem Geschehen auch in der Literatur einschneidende Konsequenzen zogen, den deutschen Buchmarkt der Nachkriegsjahre dominiert hätten, ist ein Trugschluss.

So weit die Füße tragen

Es ist das Verdienst von Christian Adam, dass wir nun nachlesen können, wie es um den Buchmarkt in Ost und West tatsächlich bestellt war. Adam hat in seinem Buch „Der Traum vom Jahre Null“ nicht nur nach den Bestsellerautoren von damals geforscht.

Er suchte und fand auch bemerkenswerte Kontinuitäten zwischen NS-Staat, Adenauers junger Bundesrepublik und Ulbrichts DDR-Regime. Diese wäre niederschmetternd zu nennen, wüssten wir nicht aus Studien aus anderen Bereichen, wie umstandslos die alten Eliten ihre Farben wechselten, um an den Fleischtöpfen verbleiben zu können – und wie leicht ihnen das gemacht wurde.

Bestsellerlisten mögen nur eine mathematische Annährung an die Ware Buch sein. Aber sie machen doch deutlich, wie gering der Einfluss neuer Autoren auf das Leseverhalten der Deutschen in Wahrheit war. Da findet sich Anne Franks ­„Tagebuch“ unter den meistverkauften Büchern bis Anfang der 1960er Jahre immerhin auf Platz neun, Theodor Plieviers „Stalingrad“ auf Platz elf ,und Grass’ „Blechtrommel“ nimmt Rang 17 ein.

An der Spitze allerdings rangieren andere: C. W. Cerams „Götter, Gräber und Gelehrte“ ist als Nummer zwei platziert. Es ist ein Buch, das Archäologie zum Kriminalroman verdichtet, dabei den Zweiten Weltkrieg historisiert und bagatellisiert und dessen Autor in Wahrheit Kurt W. Marek hieß, der Hitlers Herrschaft als Kriegsberichterstatter in verschiedenen Propagandaeinheiten mitgemacht hatte.

Platz sechs nimmt Josef Martin Bauers „So weit die Füße tragen“ ein, ein frühes Roadmovie, dessen Protagonist Oberleutnant Clemens Forell es gelingt, aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft in die Heimat zu fliehen. Russen werden in diesem durchaus spannenden Buch fast durchweg äußerst negativ beschrieben, was wenig verwundert, hatte der Autor doch kurz zuvor Werke wie „Unterm Edelweiß der Ukraine. Eine Gebirgs-Division im Kampf gegen Sowjet-Russland“ im Zentralverlag der NSDAP veröffentlicht.

Umerziehung, eine Episode

Doch nicht nur die Bestseller waren eher nach dem Geschmack der Landser gemacht, auch die vergebenen Literaturpreise entsprachen so gar nicht der Mär von der neuen deutschen Literatur. Mehr als die Hälfte der im Westen Ausgezeichneten galten als „systemnahe Autoren“ der NS-Zeit oder verbrachten diese mehr oder weniger angepasst in der „inneren Emigration“.

Und wenn schon ein Großteil der Autoren schon zu Nazi­zeiten erste Karriereschritte unternommen hatte, so wundert es nicht, das Gleiches für die meisten Verleger gilt. Die „Umerziehung“ unter den Alliierten mit dem Verbot von Publikationen blieb im Westen eine kurze Episode.

Dort konnten schon bald ­Verleger wie Kurt Desch, der Lektor des arisierten Zinnen-Verlags, oder Caspar Witsch, der seit 1933 NSDAP-Mitglied war, an ihre Erfolge anknüpfen. Im Osten hatten solche Männer zwar keine Chance, doch sorgte der Staat selbst dafür, dass nur ihm genehme Literatur in die Regale kam.

Eine deprimierende Lektüre ist Adams Buch angesichts seiner niederschmetternden Ergebnisse keineswegs – vielmehr eine notwendige, spannend geschriebene Korrektur ­unserer Träume von einem neuen Deutschland.

Christian Adam: „Der Traum vom Jahre Null. Autoren, Bestseller, Leser“. Galiani Verlag, Berlin 2016, 448 S., 28 Euro