piwik no script img

Biografie eines EigenbrötlersKindheit im Alltag

„Der Mann, der eine Insel war“ erzählt die Geschichte des Chansonniers Jacques Brel. Früh sah er sich im bourgeoisen Albtraum gefangen.

Jaques Brel stilisierte sich selbst gerne als Insel Foto: dpa

„No man is an island“, behauptete der englische Dichter John Donne einst. Der belgische Chansonnier ­Jacques Brel war so eine Insel oder stilisierte sich zumindest gern als solche, glaubt man dem Musikwissenschaftler Jens Rosteck. Eigensinnig, wild, kompromisslos, gleichzeitig unbequem, mysteriös, einsam – „Jacques Brel. Der Mann, der eine Insel war“ spiegelt die komplexe Figur Brels durch ein Kaleidoskop wider, nicht ganz ohne Mythenbildung.

Nach einer „ereignislosen Kindheit“ im Brüssel der 30er Jahre erlebte Brel paradoxerweise die Besatzung Belgiens als Befreiungsmoment, das mit seinem „Coming-out als Bühnenperson“ einherzugehen schien. Den Hass gegen Institutionen lernte der Schulabbrecher früh kennen, jedoch konnten seine ersten künstlerischen Gehversuche als Komödiant bei den Pfadfindern vorerst nicht verhindern, dass er sich den gesellschaftlichen Erwartungen der Nachkriegszeit zu beugen hatte. Ein Job in der elterlichen Firma, die frühe Hochzeit mit seiner Lebenspartnerin Miche, das erste Kind – mit Anfang 20 sah sich Brel in seinem bourgeoisen Albtraum gefangen.

Jens Rosteck skizziert Brels künstlerischen Werdegang auf 238 Seiten anschaulich und gestaltet die komplexe Entwicklung der Person Brel erzählerisch aus. Stilistisch wird Brels Mantra des „voir ailleur“ – sich anderswo umschauen – zum wiederkehrenden Motiv, mit dem sich die Stationen in Brels Biografie stringent verquicken lassen. Sobald Brel irgendwo angekommen zu sein scheint, zieht er weiter. Er ist keiner, dem alles in den Schoß fällt: Er ist nicht schön, nicht besonders talentiert, muss sich seine Bühnenpersona hart erarbeiten. Rastlos kämpft er, als wüsste „der Frühvollendete“, der mit 49 an Lungenkrebs verstarb, wie wenig Zeit ihm bleibt.

Rosteck, Musikwissenschaftler und Pianist, nähert sich Brel über dessen Musik analytisch und zieht interpretatorische Querverbindungen zu Brels Leben. Tatsächlich liest sich das Buch eher wie eine literarische Erzählung. Rosteck bewegt sich auf Augenhöhe mit dem Künstler, und wüsste man nicht, dass er bei Brels letztem Bühnenauftritt 1967 gerade mal 5 Jahre alt war, könnte man fast glauben, er sei dabei gewesen.

Er ist nicht schön, nicht besonders talentiert

In diesem Punkt offenbart das Buch jedoch seine Schwächen. Aus einer Fanperspektive wird Brel oft unkritisch glorifiziert. Der blumige Ton der omnipräsenten Chansonzitate führt stellenweise zu einer verkitschten Art der Beschreibung. Auch suhlt sich Rosteck häufig etwas zu nostalgisch in der „guten alten Zeit“ der 50er und 60er Jahren, verherrlicht die wahre Liebe, die es nun mal nur unter Männern gebe, beschreibt Brels Geliebte, die Guadelouperin Maddly Bamy, mit kolo­nia­listischem Blick als „exotisch anmutend“ und goutiert Brels machohafte Eskapaden mit kumpelhaftem Augenzwinkern.

Das Buch

Jens Rosteck: „Brel. Der Mann, der eine Insel war“. Mare Verlag, Hamburg 2016, 240 Seiten, 24 Euro

Dass Brel seine Frau, die er als „Bremse männlichen Tatendrangs“ begreift, mit drei kleinen Kindern in Brüssel zurücklässt und sich jeglicher Verantwortung entzieht, wird dem überbordenden Freiheitsdrang des kreativen Genies zugeschrieben und in das Bild des schillernden Ekzentrikers, der Insel Brel, eingepasst. Die Insel wird für Brel schlussendlich zum Hafen, in Form der Pazifikinsel Hiva Oa, wo er mit seiner Geliebten Maddly seinen Lebensabend zubringt. „Le Grand Jacques“, der pferdegesichtige Aufrührer, der kettenrauchende Dandy, doch auch „Jácbrel“, der demütige Postbote, der den Inselbewohnern ein Kino baut – Rosteck gelingt es, alle Facetten auszuleuchten, die schönen wie die hässlichen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Auhauerha -

    Mythos ist ja das eine - aber

    Wanderheuschrecke¿;()

    kurz - Schnick Schnack Schnuck &

    Karo-einfach - sind halt so - Kinderspiele. & -

    Ritter Sport - Quadratisch -

    Praktisch - Gut!

    Anyway - gekauft!

  • Genau deswegen ist der Mythos ein Mythos: Er hat nicht viel zu schaffen mit der Realität.

     

    Seine Hardcore-Fans mag Brel beeindruckt haben mit seiner Stimme. Leute, die ihre Sinne noch alle beieinander haben, erkennen allerdings recht deutlich: Ein Kerl, der weiterzieht, so bald er irgendwo angekommen zu sein scheint, ist keine "Insel". Inseln sind Immobilien. Und zwar solche, die zu schätzen weiß, wer lange unfreiwillig auf dem Meer gewesen ist. Einer, der nicht stillhalten kann aus lauter Angst vor seinem ganz privaten "bourgeoisen Albtraum", ist eher eine Art Wanderheuschrecke.

     

    Sieht aus, als würde es vorerst dabei bleiben: No man is an island. Erst recht keiner, der hasst.