: Im Osten was Neues
Green Velo Polen setzt Maßstäbe – zumindest mit einem neuen Radfernweg in Überlänge. Ein guter Weg, um das Land lieben zu lernen. Impressionen einer ersten Testfahrt
von Judith Weibrecht
Los jetzt, runter mit dem Zeug! Es ist morgens halb elf, als Zdzisław Pniewski selbst gebrannten Pinienschnaps einschenkt. Er lacht und klopft den Fremden aufmunternd auf die Schulter. Südostpolen ist eben nichts für Weicheierinnen und die hiesige Gastfreundschaft sprichwörtlich. Also gut, wir wollen uns nicht danebenbenehmen und verziehen keine Miene.
An die Radfahrer, die neuerdings auf dem Green Velo Radweg vorbeikommen, vermietet Zdzisław Zimmer. Und sein Ferienbauernhof Korzyna hat eine Menge zu bieten, neben Tennisplatz und Swimmingpool auch einen Weiher, auf dem man Boot fahren kann. Dazu Obstbäume, Wiesen und Wälder, so weit das Auge reicht.
An die 2.000 Kilometer lang und 65 Millionen Euro teuer ist die neu konzipierte Radroute Green Velo, die von der Ostsee und entlang der ostpolnischen Grenze bis Premysl verläuft, dann einen Bogen ins Inland macht und durch fünf Woiwodschaften führt: Ermland-Masuren (Warminsko-Mazurskie), Podlachien (Podlaskie), Lublin (Lubelskie), Karpatenvorland (Podkarpackie) und Heiligkreuz (Swietokryskie). Das Logo ziert eine Fahrradkette mit fünf Gliedern in fünf Farben, Symbol für die fünf Regionen. Sie stellen ein „W“ dar für Wschodni Szlak Rowerowy (östliche Radroute).
Die längste Radroute Polens verbindet Sehenswürdigkeiten, die sich auch links und rechts in einem 20 Kilometer breiten Korridor befinden können, sowie Nationalparks und Naturschutzgebiete. Gefördert durch EU-Mittel, waren und sind an der Planung eine Vielzahl von lokalen Regierungen und Gemeinden beteiligt. Die Beschilderung wird flächendeckend installiert, 220 Rastplätze sind bereits aufgebaut. Manche bieten Picknicktische und -bänke zum Verweilen, einige auch Toiletten und Waschgelegenheiten. Die orangefarbenen Schilder mit Kilometrierung sind weithin sichtbar und für ganz Polen standardisiert: Jedes trägt eine Nummer für einen Radweg. Die Nr. 1: der Green Velo. Infomaterial auf Deutsch ist vorhanden, Kartenmaterial ebenfalls. Noch in diesem Jahr sollen die letzten Abschnitte des Radwegs fertiggestellt sein. Alle 50 Kilometer wird man dann übernachten können. In Unterkünften, die analog zu den deutschen Bett+Bike-Standards mit sicheren Fahrrad-Einstellplätzen ausgestattet sind. So wie bei Zdzisław.
Sandomierz: die Perle an der Weichsel, vier mittelalterliche Tore und ein oberhalb der Stadt thronendes Königsschloss. Hier machen wir eine Sightseeingtour mit Monika Łesyszak. Rund um den weitläufigen Markplatz stehen putzig renovierte Bürgerhäuser in Bonbonfarben Spalier. Man sitzt vor Cafés und Kneipen, an einer Wäscheleine baumeln die Bilder einer Fotoausstellung. Auffällig die Menschenschlange vor der Heiliggeist-Kirche. „Die wollen beichten“, erklärt Monika. Unterhalb der Barockstadt fließt die Weichsel durch fruchtbares Land: Aprikosen, Kirschen und Äpfel werden angebaut.
Anreise: Bahnverbindung mit Fahrradmitnahme zum Beispiel ab Berlin nach Warschau mit dem EC 43 und weiter nach Kielce mit dem IC 5330.
Infos: www.ermland-masuren-journal.de/auf-dem-green-velo-radweg-durch-den-osten-polens/ und www.greenvelo.pl (auch in Deutsch und Englisch)
Weiter geht’s auf dem Green Velo. Durch Wälder mit eingestreuten Straßendörfern, am Wegesrand Marienstatuen, geschmückt mit quietschbunten Bändern und Blumen. Ein Kiosk in einem der bemalten Holzhäuschen lockt aus dem Sattel. Der Verkäufer lächelt, bläst sich die Haare aus dem Gesicht und reicht kühles Mineralwasser über den Holztresen. Draußen auf der staubigen Dorfstraße eilen Kinder herbei, bestaunen die deutschen Radfahrer, die unbekannten Wesen, winken und rufen kichernd „Dzien dobry!“.
Das nächste Kleinod folgt auf dem Fuß. „Zamość, die Renaissance-Stadt, wurde erbaut von zwei Genies, also von zwei Männern“, sagt die Stadtführerin Bogumiła Zdzioch. „Und zwar 1580 nach den Plänen des venezianischen Baumeisters Bernardo Moranti und von Kronkanzler Jan Zamoyski.“ Die Stadt, Weltkulturerbe, gilt aufgrund ihrer vielen Arkadengänge auch als Padua des Nordens. „Dies ist einfach die ideale Stadt“, meint Bogumiła. Wo idealerweise gleich zwei Geburtshäuser von Rosa Luxemburg zu finden sind: eines, das man fälschlicherweise dafür hielt, und eines, von dem man dann herausfand, dass es das richtige ist.
Jetzt will die Stadt wie einst das multikulturelle Zentrum der Region bilden, was sie auch am Abend durch das Eurofolkfestival eindrucksvoll unter Beweis stellt: Es pulst, Trommelwirbel krachen in den Ohren, Folkloretänze aus aller Welt werden auf dem zum Bersten vollen Marktplatz aufgeführt. Die Nacht wird lang, auch ohne Pinienschnaps. Am nächsten Tag starten wir erst spät in Richtung Wälder. Bären und Wölfe? Nein, die sind uns weder dort noch sonst wo auf dem Green Velo über den Weg gelaufen.
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