: Tiere an Salat
KUNST Zu viel, zu nah, zu intim: Ein genauer Blick auf die Rituale des Alltags steckt in den Skulpturen und Videos, die Katharina Moessinger und Elisabeth Matthewes unter dem Titel „Übermaß“ in der Kommunalen Galerie zeigen
Weihnachten ist ein Fest, und Feste leben vom Übermaß: an Speisen, an familiärer Nähe, an geforderten Gefühlen. Da passt es gut, dass sich unter dem Titel „Übermaß“ zwei Künstlerinnen zusammengefunden haben, die sich mit dem Stoffwechsel des Körpers und dem Haushalt der Gefühle beschäftigen: In den Skulpturen von Katharina Moessinger und den Video-Performances von Elisabeth Matthewes gerinnen die Wahrnehmungen des Zuviel, Zunah, Zuintim, die so schnell zu Begleiterscheinungen von Familienfeiern werden können, zu speziellen ästhetischen Formen. Das ist witzig, skurril und verblüffend auch in der Einfachheit und Stringenz der künstlerischen Konzepte.
Um ins Schlaraffenland zu kommen, muss man sich erst durch einen Berg von Grießbrei essen. Daran erinnern die Bildschirmarbeiten von Elisabeth Matthewes. Erst füllt Salat die ganze Bildfläche, grün, rot und weiß, Radieschen, Tomaten, klein geschnittener Kohl, ein Stillleben. Irgendwann beginnt diese Fläche leicht zu atmen, Geräusche werden langsam als Abbeißen und Kauen kenntlich, dann taucht das Gesicht einer Frau auf, sich von unten durch den Berg von Salat essend.
Matthewes kehrt die Größenverhältnisse um in der Beziehung zwischen dem Körper und den Quellen seiner Nahrung, sie überwuchert und umspült ihn – das Fleisch des Menschen wird zu einer Fußnote der Materie. Das Anrichten auf dem Teller, das auch etwas von einer symbolischen Beherrschung der Nahrung hat, entfällt. In einem zweiten Video liegt die Künstlerin in einem Bottich voller Milch, fast ekelt man sich ein wenig vor dem, was bleich wie Bratwurst aus der Milch auftaucht. Sie liegt zusammengekrümmt wie ein Embryo. Später denkt man, dass die Szene auch etwas von der Simulation einer Geburt hat, aus dem Fruchtwasser ins Freie.
Auf dieses Video starren in der Kommunalen Galerie in Wilmersdorf auch ein Schwein mit blauen und ein Bambi mit braunen Glasaugen, kullerrund und riesig. Die Tiere sind lebensgroß, mindestens, und mit Füllwolle ausgestopft. Sie gleichen ins Monströse gewachsenen Kuscheltieren, die Nachahmung des Lebendigen bekommt etwas Groteskes. Für ihre Form hat sich Katharina Moessinger an Stofftieren orientiert, deren Schnittmuster vergrößert, stilisierte Hufe und Schnauzen beibehalten – und die Tiere dann aus gegerbten Fellen der lebendigen Vorbilder genäht.
Das ist von gruseliger Niedlichkeit und lässt viel von den Widersprüchen im Verhältnis unserer Gesellschaft zum Tier anklingen. Von der gespielten Nähe zu Haus- und Kuscheltieren, von dem weggeblendeten Verhältnis zu den Nutztieren, von ihrer Vertreibung aus der realen Umwelt – wie beim Bären – und ihrer Rückkehr als Sensation und Ereignis im Zirkus etwa.
Aber nicht nur den Ambivalenzen im Verhältnis zum Tier gibt Moessinger eine Projektionsfläche in ihren Objekten, sondern sie reflektiert auch das Verhältnis der Skulptur zur Abbildbarkeit der Welt. Die verwendeten Tierfelle rücken die Skulpturen in die Nähe von Trophäen, die Stofftierschnitte in die Nähe von Massenware – und beides wird bei Moessinger zu Konkurrenten der Kunst im Streit über die Deutungshoheit über das Tier – zwei Konkurrenten, die sie sehr ernst nimmt.
Zusammengebracht unter dem passenden Titel „Übermaß“ hat die beiden Künstlerinnen der Verein Frauenmuseum Berlin, ein regelmäßiger Gast der Kommunalen Galerie. Katharina Moessinger, Jahrgang 1974, hat an der UdK in Berlin studiert und ist mit ihren Tierstücken schon durch Projekträume und Museen gewandert; Elisabeth Matthewes (geboren 1983) setzt an der Kunsthochschule Weißensee ihr Studium der Bildhauerei noch bei Else Gabriel und Thaddäus Hüppi fort. Ihr Miteinander ist inspirierend, weil bei beiden so viel Alltagsnähe und ein so konkreter Blick auf die Dinge stecken. KATRIN BETTINA MÜLLER
■ Kommunale Galerie Berlin, Hohenzollerndamm 176, Di.–Fr. 10–17 Uhr, Mi. 10–19 Uhr, So. 11–17 Uhr, bis 6. Januar. Vom 25. 12. bis Neujahr geschlossen