: Die Würde des Menschen ist untanzbar
FESTIVAL Pubertäre Selfie-Schau? Papperlapapp! Das 37. Theatertreffen der Jugend im Haus der Berliner Festspiele bildet rassistische Tendenzen ab. Ein improvisierter Trailer sorgte für Zündstoff
von Stefan Hochgesand
Das Thema „rassistische Klischees“ schimmert als Sujet einiger Stücke bereits auf dem Spielplan durch; es brach dann trotzdem mit ungeahnter Wucht ins Theatertreffen der Jugend: Am Freitagabend, als die 37. Ausgabe des Festivals im Haus der Berliner Festspiele eröffnet wurde, liefen improvisierte „Trailer“, die am Nachmittag entstanden waren. In jeder der kurzen Spielszenen stellt eine der acht prämierten Gruppen eine Konkurrenzproduktion vor, um das Eis zu brechen und dem Festivalpublikum einen Eindruck davon zu vermitteln, was es in den Folgetagen erwartet.
Der letzte der acht sogenannten Trailer hatte es in sich. Vielen im Publikum blieb, wie sie sagten, das Lachen im Halse stecken. Die eingeladene Gruppe aus Aachen sollte das Stück der Berliner „akademie der autodidakten im Ballhaus Naunynstraße“ präsentieren. Ein Projekt von und mit 13 Refugees und postmigrantischen Jugendlichen. Was in der improvisierten Szene der Aachener über das Stück zu sehen war, macht traurig und wütend. Darauf angesprochen, berichten Zeugen bestürzt von übergestülpten weißen Tüten, von einem bekannten rassistischen Kinderlied und animalischen Tänzen.
Fünf vor zwölf
Die Spielleiterin der Naunynstraße habe noch interveniert, Rassismus beim Wort genannt, die Ballhaus-Gruppe habe den Saal verlassen. Die Aachener seien reichlich überfordert gewesen und hielten ihrerseits dem Vorwurf entgegen: Man habe doch nur aufzeigen wollen, welche rassistischen Klischees in unserer Gesellschaft existierten. Noch in der Nacht brachten die Veranstalter dankenswerterweise ihr Bedauern auf der Webseite zum Ausdruck. Es heißt darin: „Wir als Berliner Festspiele gehen davon aus, dass es sich um eine Form von unreflektierter Kränkung handelt, die vor Augen führt, dass auch Teile der Welt des Jugendtheaters nicht klüger sind als die Gesellschaft als Ganzes.“ Noch am Samstagnachmittag war unklar, ob die Ballhaus-Gruppe überhaupt antritt und die Aachener ins Publikum dürfen. Beide Fragen werden, – Glück im Unglück – mit Ja beantwortet. Begegnung statt Boykott.
Unter solchen Vorzeichen klingen die ersten Worte der Ballhaus-Inszenierung am Samstagabend noch mal ganz anders: „Was geht ab, Theatertreffen?“, fragt ein Spieler scheinbar sorglos ins Publikum hinein und reißt damit direkt die vierte Wand ein. Später wird ein 22-jähriger Tschetschene aus dem Publikum unter Gewalt auf die Bühne gezwungen: „Stand up, turn around /Passport, bring it!“ Das Collagenstück ist geklammert durch den Rap „One Day I Went to Lidl“ von Afrikan Boy, einem Londoner Grime MC, der aus Nigeria floh. Das virale Clickmonster dreht sich darum, wie ein darbender Rapper aus lauter Hunger im Discounter ein Tiefkühlhähnchen klauen musste.
Die Ballhaus-Choreografie vor drei bunt blinkenden Videowänden ist stimmig. Wenn da nicht die mutmaßlich halbautobiografischen Storys der Spieler wären: als Kind Waffen auf dem Boden suchen; vergeblich für Freizügigkeit demonstrieren; denunziert werden. „Ihr schreibt die Menschenrechte auf, aber ihr handelt nicht danach.“ Sofort ist man im Gedanken wieder am Vorabend: Ja, die Würde des Menschen, wie war das doch gleich? Der heftige Applaus für das aufwühlende Stück stimmt etwas versöhnlich.
Das Bielefelder Stück „Ehrlos“ kommt am Sonntag mit nicht minder starkem Tobak daher. Quizduell-Fragen: „Ist das Bibel? Oder Koran?“ Die Frau lieben. Schwulsein als Todsünde. Weiber wie Äcker besamen. Überhaupt lebt der Abend vom gegenseitigen Befragen. Die Hauptfigur, ein kurdischer Junge, wird von zwei Spielern gemimt. Der eine redet, der andere handelt. Und viele zerren an ihm. Alle haben ihre Idee davon, wer oder was ein ehrenhafter Mann sei.
Das Stück führt durch Trinkgelage, zur religiösen Beschneidung, in die Disco, in die Kirche. Der Priester mahnt die Gemeinde, da sei ein schwarzes Schaf unter ihnen: „Sie begehrt ihresgleichen.“ Die Gemeinte streift sich später die Langhaarperücke ab und gibt den Blick aufs Shirt mit dem Schriftzug „#gay“ frei, worauf das Festival-Publikum mit euphorischem Szenenapplaus reagiert.
Das dritte Stück zum Thema Migration und Multikulturalität am Montagabend, „Frankfurt Babel“, startet mit einem Stimmenwirrwarr frontal gen Publikum, bis man doch Wege des Kommunikation findet. Auch hier dominiert das gegenseitige Befragen. „Was ist dort los, wo du herkommst? Und was ist gerade in Deutschland los?“ Ein geflüchteter Schauspieler darf seinen Namen nicht nennen, weil das Jugendamt sonst Stress mache. Mit Kreide malt man die Weltkarte und schreibt 6 Milliarden Euro dazu. Diese Summe erhält die Türkei von der EU, wenn sie Flüchtlinge im Land hält. Ein Raunen geht durchs Publikum, als sich die Spieler*innen ihre dunkleren Hautfarben mit Weiß übermalen. Die Angst im Saal: „Oh nein, passiert da schon wieder Rassismus?“ Beruhigung, als man versteht: Nein, im Kontext des Stücks wird Rassismus künstlerisch verhandelt – von (Post-)Migrant*innen selbst in Szene gesetzt. Warum das etwas ganz Anderes ist – darüber wird noch viel zu sprechen sein, nicht nur im Festspielgarten.
Theatertreffen der Jugend, bis 11. Juni
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen