Kolumne Macht: Verunsicherung ist berechtigt

Von einer Sekunde zur anderen kann alles anders sein. Und nein: Die Sturzflut von Braunsbach hätte kein Politiker verhindern können.

Ein blaues Auto ist halb von Geröll bedeckt, ein Mensch stützt sich am hinteren rechten Kotflügel ab

Naturgewalt im 21. Jahrhundert Foto: dpa

Die Bilder aus Braunsbach in Baden-Württemberg sind besonders verstörend, obwohl dort bei der Sturzflut niemand verletzt oder gar getötet wurde. Dabei gibt es doch Schlimmeres als materielle Verluste, so schmerzlich die auch sein mögen. Der Verlust von nahestehenden Menschen beispielsweise.

Aber es geht bei der Frage, welches Entsetzen ein Ereignis auslöst, eben nicht um einen makabren Wettbewerb um das schrecklichste Einzelschicksal. Sondern darum, welche eigenen Ängste wachgerufen werden. In dieser Hinsicht gibt es nichts Schlimmeres als Braunsbach.

Die ersten Aufnahmen von Einfamilienhäusern, die der Krieg im ehemaligen Jugoslawien zerstört hatte, sahen genau so aus wie die unserer Eltern oder unserer Tanten oder der Eltern unserer Freunde. Genau so! Das war viel anrührender als die Tatsache, dass im Zeitalter der europäischen Einheit ein Krieg „mitten in Europa“ stattfand.

Stich ins Herz

Wenn es einen Stich ins Herz gibt, dann ist der selten historisch begründet. Sondern speist sich oft aus Erinnerungen. Kindheit, alte Bücher. Ein Kirchturm, der Häuser mit roten Schindeldächern überragt.

Deshalb sind die Ereignisse von Braunsbach ja so erschütternd. Dieser Ort schien der Inbegriff von Geborgenheit zu sein. Langweilig vielleicht, zugleich aber wäre er gut geeignet gewesen als Symbol für Friedensdividende: ein Nest mitten in einem der ruhigsten und reichsten Länder der Welt. Was soll da schon passieren?

Die polnische Regierung torpediert die Pläne für das Danziger Museum des Zweiten Weltkriegs und vergeudet damit eine historische Gelegenheit. Den Essay des Holocaustforschers Timothy Snyder lesen Sie in der taz.am wochenende vom 4./5. Juni. Außerdem: Etablierte Parteien suchen die gesellschaftliche Mitte. Aber wo ist sie? Ein Besuch in Gittis Bier-Bar in Berlin-Mitte. Und: Woher rührt die neue Liebe der Grünen zur Polizei? Dies und mehr am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.

Menschen wünschen sich unterschiedliche Dinge. Ohne der Bevölkerung dieser dörflichen Gemeinde zu nahe treten zu wollen: Wer dort dauerhaft lebt, ist vermutlich nicht besonders abenteuerlustig und findet es unerfreulich, wenn dramatische Ereignisse das Leben von einem Tag auf den anderen grundlegend verändern.

„Mehr Sicherheit“ als in Braunsbach kann es nicht geben. Jedenfalls hätte man das bis vor ein paar Tagen gedacht, als aus Bächen ein reißendes Wildwasser wurde, das Autos zermalmte, Häuser zerquetschte, meterhohe Berge aus Geröll auftürmte. „Als ob Gott einfach mal kurz mit der Faust draufgeschlagen hätte“, sagte ein – übrigens nicht religiöser – Freund fassungslos.

Ob Gott, der Klimawandel oder auch Flußbegradigungen nun jeweils schuld sind an den apokalyptischen Ereignissen, darüber werden Fachleute noch lange streiten. Worüber sich nicht streiten lässt: Wie dünn der scheinbar so trittfeste Boden ist, auf dem wir uns alle bewegen.

Gefühl der Verunsicherung

Mehr Glück als die Deutschen kann man mit äußeren Gegebenheiten nicht haben. Es gibt keinen Anlass – jedenfalls bisher nicht – zur Angst vor schweren Erdbeben, Taranteln, Tornados, Vipern, Vulkanausbrüchen, Klapperschlangen, Malaria, Krokodilen, Pest und Cholera. Stattdessen gibt es überall auf weiter Flur äußerst fruchtbare Böden und eine Überproduktion von Milch.

All das gilt innerhalb weniger Minuten nicht mehr, weil Bäche – Bäche! – über die Ufer treten? Von einem Augenblick auf den anderen ist die Welt eine andere?

Ja. So kann das sein. Jedes Gefühl der Verunsicherung ist berechtigt. Wir leben in einer Zeit des Umbruchs. Über die Gründe können unsere Nachfahren streiten – wenn es die dann noch gibt.

Verständlich, dass sich viele nach Leuten sehnen, die behaupten, die Verhältnisse wieder übersichtlich gestalten zu können. Aber, so bitter das klingt: Weder Donald Trump noch Frauke Petry und auch nicht Alexander Gauland hätten die schreckliche Sturzflut von Braunsbach verhindern können.

Wirklich nicht? Nein, wirklich nicht.

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Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).

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