Fluten, mit denen keiner gerechnet hat

Hochwasser Enorme Regenmengen haben ganze Regionen im Südwesten Deutschlands überrascht. Vier Menschen sterben, ein Dorf ist von Geröllmassen verwüstet. Schuldige sind nicht so leicht auszumachen

Die Flut ging, ein Gerölllawine blieb: Braunsbach in Baden-Württemberg Fotos: Kai Pfaffenbach/reuters, Christoph Schmidt/dpa

Aus Stuttgart Benno Stieber

Die Flut kam innerhalb von Sekunden. In der Nacht zum Montag sei plötzlich eine drei bis vier Meter hohe Wasserwand die Straße heruntergeschossen, berichten die Einwohner aus dem kleinen Örtchen Braunsbach im Norden von Baden-Württemberg. Bilder von Handy-Kameras zeigen braune Fluten aus Geröll, Schlamm und Wasser, die sich eine Schneise durch das 900-Einwohner-Dorf bahnt und dabei Autos und einen Rettungswagen wie Treibholz mit sich reißt. Gebäude wurden zum Teil schwer beschädigt, Tote und Verletzte hat der Ort jedoch nicht zu beklagen.

Anders im 50 Kilometer entfernten Schwäbisch Gmünd: Ein 21-jähriger Mann wurde dort in einer Unterführung von den Wassermassen überrascht. Ein Feuerwehrmann versuchte ihn zu retten. Beide Männer wurden in einen Kanal gesogen und konnten nur noch tot geborgen werden. In der ganzen Stadt waren sämtliche Unterführungen mit Wasser voll gelaufen.

„Mir krieges ­wieder hin“

Eine Bewohnerin des verwüsteten Dorfs Braunsbach in Baden-Württemberg

Insgesamt forderte das stärkste Hochwasser in Baden-Württemberg seit 20 Jahren vier Tote. Auf dem Neckar wurde die Schifffahrt eingeschränkt, Audi in Neckarsulm musste die Produktion einstellen. Im ganzen Land waren über 7.000 Rettungskräfte im Einsatz. „Hier ist alles im Einsatz, was laufen kann“, sagte ein Polizeisprecher in Heilbronn.

Inzwischen sieht es nach Entwarnung aus. In der Nacht auf Dienstag werde der Scheitelpunkt der Hochwasserstände erreicht, vermeldete die Hochwasservorhersagezentrale in Karlsruhe. Die Ursache für die Flut ist auch für Experten nicht leicht zu analysieren. Die betroffenen Orte liegen bei Weitem nicht alle in Hochwasser-Risikoregionen, die Pegelstände der großen Flüsse waren nicht extrem. Hauptursache sei die enorme Regenmenge von bis zu 100 Litern pro Quadratmeter. Sie sei zustande gekommen, weil das Gewitter nur langsam weitergezogen sei. Meteorologen sprechen von einer „druckschwachen Wettersituation“.

Wissenschaftler wie auch Experten der Naturschutzverbände beobachten eine Häufung solcher extremer Wetterlagen, die sie auf eine langfristige Klimaveränderung zurückführen. Politik und Katastrophenschutz müssten sich solche Phänomene genau anschauen und daraus Schlüsse für den Hochwasserschutz auch außerhalb der klassischen Risikoregionen ziehen, sagte Jörn Birkmann vom Institut für Raumplanung der Universität Stuttgart.

Die Politik hielt sich mit schnellen Reaktionen zurück. Das Umweltministerium verwies auf gestiegene Investitionen beim Hochwasserschutz in den letzten Jahren. Für Ursachenforschung zum Hochwasser von Sonntagnacht sei es jedoch noch zu früh, sagte ein Sprecher. Mit Rücksicht auf die Aufräumarbeiten wollen Ministerpräsident Kretschmann (Grüne) und Innenminister Strobl (CDU) Braunsbach und andere betroffene Orte erst in den nächsten Tagen besuchen.

In Braunsbach bietet sich Stunden später immer noch ein Bild der Verwüstung. Das Wasser ist fort, die Geröllmassen sind geblieben und haben Autos und Straßen unter sich begraben. Im Ort sei die Trinkwasserversorgung zusammengebrochen. 120 Menschen müssten von Notfallseelsorgern betreut werden. Trotzdem übten sich einige Braunsbacher mit Optimismus. Eine Bewohnerin: „’S wird dauern, aber mir krieges wieder hin.“