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Im Tiefsinn vernebelt

OPERNPREMIERE Claus Guth versucht an der Staatsoper, „Juliette“ von Bohuslav Martinů zu inszenieren, Rolando Villazón versucht zu singen. Dirigent Daniel Barenboim und die Staatskapelle können ihnen auch nicht helfen

Noch sieht man klar: Rolando Villazón als Michel und Richard Croft als Kommissar, Briefträger, Waldhüter und Beamter Foto: Monika Rittershaus

von Niklaus Hablützel

Es geht schlimm aus im Schiller Theater. Nicht für Michel, den träumenden Helden dieser Oper von 1937, die in den letzten Jahren nach langer Zeit des Vergessenseins wieder auf die Spielpläne zurückgekehrt ist. Letztes Jahr in Zürich zum Beispiel, inszeniert von An­dreas Homoki, der auch mal daran gedacht hatte, sie in Berlin an der Komischen Oper aufzuführen. Schlimm geht es aus für das Werk selbst, das jetzt Jürgen Flimm nach Berlin geholt hat.

Nur ist es hier nicht wirklich zu sehen. Der dritte Akt versinkt in Tonnen von Theaternebel. Nebelwerfer sind auf jeder Bühne ein Katastrophenalarm, hier führen sie zum Totalschaden der gesamten Regie. Figuren rennen gefühlte Stunden lang schemenhaft in den weißen Schwaden herum; auch von Rolando Villazón, dem ehemaligen Startenor, ist nur noch die Stimme präsent. Sie klingt bekanntlich schon lange nicht mehr gut, und jetzt kommen noch Probleme mit der Intonation hinzu.

Das ist vor allem deswegen schade, weil Villazón in den zwei Akten davor mit seinem eleganten Clownspiel das einzige Lebenszeichen in einem schier endlosen, bleiernen Theater der Langeweile war. Villazón, so erinnert man sich gern, war ja nie nur Sänger. Er war immer zugleich ein glänzender Darsteller seiner Rollen. Das ist er auch jetzt, und er versucht, die offensichtlichen Mängel seiner zerstörten Stimme dadurch aus­zugleichen, dass er mit grotesken Slapstickgesten eine Figur zeichnet, die aus einem kafkaesken Stummfilm stammen könnte.

Zu sehen wäre, wenn denn gespielt würde, ein Theaterstück von Georges Neveux, der zum engsten Kreis der Pariser Surrealisten gehörte: Ein Mann sucht seine Traumfrau, die er einmal singen hörte und in einem Fenster sah. Er geht in die Stadt am Meer, in der sie gelebt hat, aber dort haben alle das Gedächtnis verloren. Der zweite Akt spielt 24 Stunden davor in einem Wald. Dort trifft er seine Traumfrau tatsächlich, und er erschießt sie, weil sie ihn attraktiv wie ein ausgestopftes Krokodil findet. Im dritten Akt stehen wir im Zentralbüro für Träume und verstehen endlich, warum sich in dieser rückwärts erzählten Geschichte lauter unmögliche, sinnlose und absurde Dinge ereignen. Es ist alles ein Traum – aber keiner der Liebe, sondern nur der surrealistischen Kunst, in der die Logik außer Kraft gesetzt ist.

Man versteht sofort, dass der Tscheche Bohuslav Martinů begeistert war von diesem Text. Er bot ihm wunderbare Gelegenheiten, eine ebenso verrückte Oper zu komponieren, in der nichts zusammenpasst, große Arien neben Sprechgesang stehen und im Orchester so ziemlich alles vorkommen darf: Lärm und billiger Zirkus neben feinsinnig instrumentiertem, kostbarem Wohlklang.

Daraus purzeln nun immer wieder seltsame Leute heraus. Sie singen ihren Part, dann verschwinden sie wieder

Ein köstliches Vergnügen könnte das sein und ein notwendiges obendrein, weil dieser radikal freche Geist der Freiheit jener Zeit dringend einer Renaissance bedarf, wenn wir nicht in Leitkulturen verblöden wollen. Aber Claus Guth, der Regisseur, hat ganz andere Gedanken im Kopf: Er will letzte Fragen der Menschheit behandeln. Es gehe um Identität, Leben und Tod, sagt er im Programmheft.

Auf der Bühne ist davon nichts zu sehen, hauptsächlich deswegen, weil überhaupt nichts zu sehen ist, was Aufmerksamkeit wecken könnte. Es ist alles braves Singen an der Rampe. Der Bühnenbildner Alfred Peter hat dafür einen weißen Schuhkarton gebaut, dessen Wände aus Türen, Schubladen und Klappen bestehen. Daraus purzeln nun immer wieder seltsame Leute heraus. Sie singen ihren Part, dann verschwinden sie wieder, und der arme Villazón muss schauen, wie er mit seinen Lebensfragen nach Traum und Wirklichkeit allein zurechtkommt.

Zwei Pausen zwischen den Akten ziehen den Abend so sehr in die Länge, dass ihn auch Magdalena Kožená, die große Mozart-Sängerin, in der Titelrolle nicht retten kann. Sogar Daniel Barenboim und seine Staatskapelle scheitern am vernebelten Tiefsinn der Regie. Sie spielen mit der ganzen Kunst und Klangschönheit, zu denen sie fähig sind. Fast immer gewinnen so selbst mäßige Aufführungen dadurch Glanz und wachsen Werke über sich selbst hinaus. Martinůs „Juliette“ jedoch leidet darunter. Es ist ein Kollagenstück, das auch mal hässlich klingen sollte. Natürlich versteht Barenboim sehr gut die ständigen Brüche dieser sehr kleinteiligen Partitur, die sich weigert, einem eindeutigen Ziel entgegenzustreben. Sie sind zu hören, aber nicht zu spüren. Der gereinigte Wohlklang der Staatskapelle gleitet sanft darüber hinweg. Es ist nicht so schlimm wie der finale Rauch auf der Bühne, aber doch nicht so gut, dass man ihn vergessen könnte.

Nächste Vorstellungen: 2., 5., 7., 10., 14., 18. Juni, 19.30 Uhr

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