„Wir sind ja noch jung, man sieht sich“

Porträt Da freut sich einer über Buhs und Bravos – Ersan Mondtag gehört zu den Neuentdeckungen des Theatertreffens

Ersan Mondtag Foto: William Minke

von Sascha Ehlert

„Wenn ich in zehn, fünfzehn Jahren mal Intendant bin.“ Bei einem Podiumsgespräch an den Berliner Festspielen übte sich Ersan Mondtag kürzlich im schelmischen Stänkern. Thomas Ostermeier werde er beerben, deutete er smart lächelnd an. Auch wegen seines selbstgewissen Auftretens ist der 28-Jährige auf dem Berliner Theatertreffen dieser Tage ein heißes Thema. Am Sonntag, als sein Stück „Tyrannis“ dort aufgeführt wurde, saßen gleich zwei Berliner Intendanten drinnen: Claus Peymann schlurfte kurz vor Aufführungsbeginn in den Saal, Shermin Langhoff lief dem jungen Regisseur nach der Aufführung „Ersan“ rufend und Bussis verteilend in die Arme. Wenn es in der Theaterwelt einen gibt, dem gerade so etwas wie ein Hype widerfährt, dann ist das Ersan Mondtag.

Kindheit in der Hasenheide

Beim Spaziergang durch die Hasenheide lässt Ersan sich nichts anmerken. Ein wenig fahrig wirkt er zwar, aber das sei vor allem akutem Schlafmangel geschuldet. Im Plauderton berichtet er von einem Fotoshooting für den Spiegel und einem Dreh mit dem Team von ZDF Aspekte, das ihn gestern hier um die Ecke in einer Geisterbahn auf dem Maienfest gefilmt hatte. „Dieser Rummel war einer der wichtigsten Orte meiner Kindheit“, erzählt der gebürtige Kreuzberger.

Gestern sei er beim Theatertreffen zum ersten Mal ausgebuht worden, erzählt er: „Das war ganz witzig: Erst haben ein paar Leute gebuht, dann andere ‚Bravo‘ gerufen und dann haben die sich gegenseitig immer weiter hochgesteigert.“ Ersan lächelt. Die Missgunst des Betriebsdünkels ist ihm nicht ganz unangenehm. Von der feinen Gesellschaft lässt man sich natürlich gerne ausbuhen, wenn die anderen einen dafür als aufregenden Regisseur feiern. Als den, der unter den Jungen der sei, der es am besten verstehe, mal große Fragen subtil im im erzählerischen Gewand zu verhandeln – zum Beispiel in seiner eigentümlich langsamen Inszenierung des Orhan Pamuk-Romans „Schnee“ am Hamburger Thalia Theater – dann aber wiederum mit einem formalistischen Experiment wie „Tyrannis“ verwundert.

Kurz nach der ersten Aufführung beim Theatertreffen folgten die ersten Verrisse. So muss das sein, wenn da ein Neuer um die Ecke kommt. Die Kritiker monierten entweder ein „sinnfreies Spiel mit einer simplen moralischen Pointe“ (Gunnar Decker im Neuen Deutschland) oder rieben sich milde an Mondtags „Bedien dich, mach was draus“-Herangehensweise (Rüdiger Schaper für den Tagesspiegel). Natürlich bestätigen auch diese Stimmen am Ende des Tages die große Qualität von „Tyrannis: Wer möchte, der kann das Stück als moralische Vorführung der Angst des Menschen vor dem Fremden interpretieren. Oder aber er liest das streng in vier Wänden eines Einfamilienhaushalts verhaftete Stück als gruseliges Kammerspiel über die Enge der westeuropäischen Kleinfamilie.

Man könnte aber genauso sagen: Oh, wie schön, ein Abend als Ode an familiäre Rituale. All diese Schlüsse macht Ersan Mondtag einem leicht. Doch keine Version löst die vielen Rätsel des Stücks. Warum beispielsweise stehen in jedem Zimmer des Hauses Kameras, nur im Keller, in den der Vater nachts verschwindet, nicht? Warum sind die Figuren blind? Warum stehen sie nach jedem Sterben wieder auf? Eine endgültige Antwort auf die Frage „Was will das Stück, was will Ersan Mondtag?“ fällt zum Glück doch schwer.

„‚Tyrannis‘ ist ein besonderer Fall in meinem bisherigen Schaffen. Die Älteren zerbrechen sich darüber den Kopf, sie können das nicht so recht fassen. Aber die Fragen, die sich ihnen stellen, stellen sich jüngeren Menschen so gar nicht, weil sie mit bestimmen ästhetischen Entscheidungen einfach viel zu vertraut sind. Zum Beispiel der Tatsache, dass sich die Figuren wie fremdgesteuerte Sims bewegen.“ Neben dem Generationen- prägenden Computerspiel „Die Sims“ zitiert Ersan Mondtag in „Tyrannis“ auch: David Lynchs „Twin Peaks“, die Zombie-Serie The Walking Dead und mutmaßlich noch einiges mehr.

Ersan Mondtag ist ein versierter Spieler mit Einflüssen von Antike bis Popkultur

Ersan Mondtag ist ein versierter Spieler mit Einflüssen von Antike bis Popkultur, kein Freund eindeutiger Antworten oder soralinsaurer Politik-Pamphlete. Bereits jetzt ist er bis Ende 2020 als Regisseur komplett ausgebucht – unter anderem an zwei Berliner Häusern, aber auch an beispielsweise den Münchner Kammerspielen. Gerade beschäftigt er sich für unterschiedliche Stückentwicklungen mit dem NSU und Terrorismus. Die Kritiker werden Ersan Mondtag so schnell nicht entkommen.

Funkeln in seinen Augen

Angesprochen auf den eingangs erwähnten Herzer durch Shermin Langhoff berichtet er: „Shermin kenne ich schon sehr lange, seit über zehn Jahren.“ Der heute 28-Jährige lernte zunächst bei Thomas Langhoff am Deutschen Theater, später dann bei Castorf, Peymann und Vegard Vinge. Er ist zielstrebig, das merkt man ihm auch nach einer schlaflosen Nacht an. Das Funkeln in Ersans Augen signalisiert: das wird noch ein Großer. „Ich verstehe gar nicht, warum die Deutschen so darauf bedacht sind, sich immer so klein darzustellen“, sagt er, zahlt seine Pizza und ruft sich ein Taxi Richtung Berliner Festspiele herbei. Seine letzten Worte: „Wir sind ja noch jung, man sieht sich!“