: „Das Ausbluten stoppen“
Brasilien Ein Mitschnitt legt nahe, warum die Opposition Präsidentin Rousseff absetzen wollte. Der neue Minister, der da freimütig plauderte, ist bereits entlassen
Aus Rio de Janeiro Andreas Behn
Es ist ein Mitschnitt, der es in sich hat und der das Bild von dem politischen Prozess, der schließlich zur Amtsenthebung der Präsidentin Dilma Rousseff führte, noch einmal verändert. Um die Korruptionsermittlungen zu stoppen, sei ein „nationaler Pakt“ notwendig, erklärt Romero Jucá darin. „Samt Oberstem Gerichtshof, alle zusammen. Den Michel an die Spitze setzen, dann ist es endlich vorbei, basta.“ Jucá spricht frei von der Leber weg, er ahnt nicht, dass sein Gegenüber alles mitschneidet. Dann bringt er es noch einmal auf den Punkt: „Die Regierung muss wechseln, um das Ausbluten zu stoppen“, sagt Jucá mit Blick auf die vielen Politiker, die in Brasilien der Korruption verdächtigt werden.
Das Gespräch mit dem früheren Petrobras-Manager Sergio Machado fand im März statt, zwei Monate bevor Rousseff vorläufig vom Amt suspendiert wurde. Dann wurde Michel Temer, „der Michel“, Übergangspräsident, und er ernannte seinen Vertrauten Jucá zum Planungsminister. Bis am Montag der Mitschnitt herauskam. Nachdem die Zeitung Folha de São Paulo das Transkript veröffentlichte, erklärte Jucá zuerst noch, er habe mit „Ausbluten“ die schwere Wirtschaftskrise gemeint. Stunden später stellte er sein Amt zur Verfügung und wurde nach nur 12 Tagen aus dem Kabinett entlassen.
Vieles, was die Gegner einer Amtsenthebung von Rousseff immer behaupteten, findet sich in den Worten Romero Jucás wieder: Es ging nicht um Verfehlungen oder Korruption der Präsidentin, sondern im Gegenteil darum, die Korruptionsermittlungen zu stoppen, die die ganze politische Klasse und jetzt vor allem die neue Regierung bedrohen. Jucá und Machado sind beide bis zum Hals in den Korruptionsskandal um den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras verstrickt.
Jucá sagte damals voraus, dass Rousseffs Amtsenthebung dazu führen werde, das „der Druck der Presse und anderer Sektoren zur Fortsetzung der Korruptionsermittlungen aufhört“. Unverblümt berichtet der frühere Senator sogar von Unterredungen mit einzelnen Richtern und erläutert: „Nur wenige waren nicht zugänglich.“ Auch mit einigen Generälen habe er gesprochen. „Alles gebongt, sie halten zu uns.“ An diesem Punkt wird sogar Verschwörungstheoretikern mulmig. Sollte es wirklich stimmen, dass das Militär und Teile des Obersten Gerichts dabei halfen, eine ungeliebte Präsidentin aus dem Amt zu kicken? Mehrere Mitglieder des Obersten Gerichtshofs reagierten prompt und erklärten kategorisch, dass diese Behauptung von Jucá völlig aus der Luft gegriffen sei.
Dass Jucá das alles damals so gesagt hat, beweist zwar nicht, dass es tatsächlich ein solches abgekartetes Spiel war. Aber die bis vor Kurzem regierende Arbeiterpartei sieht sich darin bestätigt, von einem „Staatsstreich“ zu sprechen. Afonso Florence, PT-Fraktionschef im Parlament, bezeichnete den Mitschnitt als nicht überraschend, aber endlich gebe es ein Geständnis. „Die Rede ist von Verbrechen wie Behinderung der Justiz und Angriffe auf die Demokratie.“ Endlich sei bewiesen, dass sie (die Gegner der PT) den Angriff auf Petrobras gestartet hätten. „Die Maske der Putsch-Regierung von Temer ist gefallen“, erklärte Florence.
Die Opposition fordert die sofortige Entlassung von Jucá und strafrechtliche Ermittlungen. Er gehört wie Temer der PMDB an, die im März die Rousseff-Regierung verließ. Kaum zwei Wochen im Amt, nimmt der Druck auf Temers Übergangsregierung zu. Bereits am Sonntag machte er den ersten großen Rückzieher und machte die vehement kritisierte Abschaffung des Kulturministeriums rückgängig. Sei Kabinett war von Anfang an kritisiert und verspottet worden: Keine einzige Frau und kein einziger Afrobrasilianer ist unter den 23 Ministern. Dafür aber sieben Herren, gegen die der Oberste Gerichtshof bereits wegen des Petrobras-Skandals ermittelt.
Jucás Ausfall schwächt Temers Wirtschaftsteam, das gerade dabei ist, Brasilien ein striktes Sparprogramm aufzuerlegen. Umfragen zufolge ist Temer so unbeliebt wie Rousseff, die für die Wirtschaftskrise verantwortlich gemacht wird. Täglich kommt es in vielen Städten zu Protesten gegen die umstrittene Übergangsregierung, am Sonntag konnte die Polizei eine Demonstration erst kurz vor Temers Wohnhaus in São Paulo mit Gewalt stoppen. Am Montagabend gab es nach Veröffentlichung des Jucá-Audios erneut spontane Kundgebungen.
Es ist abzusehen, dass der Fall Jucá nicht das letzte Problem der Temer-Regierung sein wird. Koalitionspartner Aécio Neves von der konservativen PSDB, der Rousseff 2014 in der Stichwahl knapp unterlag, wird immer wieder mit dem Skandal in Verbindung gebracht. Und laut Presseberichten soll Jucás Gesprächspartner Machado nicht nur diese, sondern auch eine Unterredung mit dem Senatspräsidenten Renan Calheiros mitgeschnitten haben. Ein weiterer PMDB-Führer, gegen den auch schon ermittelt wird.
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