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Hallo, Berlin!

JubiläumDer Hauptbahnhof ist für viele die erste Station in der Stadt. Er wurde vor zehn Jahren eröffnet. Damals stand der Glas-und-Beton-Koloss im Niemandsland. Das war immer noch sympathischer als alles, was danach kam

Von Uwe Rada (Text) und Sebastian Wells (Foto)

Paris hat die Rue du Faubourg Saint-Martin, Rom die Via Cavour und Berlin die Bertha-Benz-Straße. Alle drei führen zum wichtigsten Bahnhof der jeweiligen Stadt, zur Gare de l’Est, zu Roma Termini und zum Berliner Hauptbahnhof. Der Unterschied ist nur: In Paris und Rom stürzt man aus dem Bahnhof in den irren und wirren Trubel eines Bahnhofsviertels, während man in Berlin von den Lochfassaden klobiger Legoklötze gestoppt wird. Willkommen in der Touristenmetropole Berlin. Dabei ist es noch nicht lange her, da hatte auch Berlin ein Bahnhofsviertel. Es war ein bisschen siffig wie in der Jebensstraße, Trinker und Bettler trieben sich auf dem Hardenbergplatz herum, und wer zum Ku’damm wollte, musste an Sexkinos und am Restaurant Holst am Zoo vorbei. Immer wenn ich in Frankfurt oder Hamburg am Hauptbahnhof aus dem Zug steige, fühle ich mich an den Zoologischen Garten erinnert, der einmal das Eingangstor zu Westberlin war. Schön war es dort nicht, aber ehrlich.

Der Bahnhof Zoo wurde vom Netz genommen, als vor genau zehn Jahren der Berliner Hauptbahnhof seinen Betrieb aufnahm. Ach, was haben sie alle gejammert, damals im Sommer des Märchens. Dass die gläsernen Dächer des Bahnhofs verstümmelt wurden. Dass der Hautbahnhof im Niemandsland der Stadt erbaut wurde, umgeben von Brachen und Baulärm.

Zehn Jahre später merke ich, wie luftig und schön es damals war. Denn lieber habe ich gar kein Bahnhofsviertel vor mir als ein solches.

Fangen wir in der Bertha-Benz-Straße an. Vom Washingtonplatz führt sie zwischen dem Steigenberger-Hotel und dem Kennedyhaus zum Intercity-Hotel. So wie dort habe ich mich zuletzt gefühlt, als ich in Prora auf Rügen war: viel zu viel Beton für viel zu wenig Menschen. Leider wird es auf der nördlichen Seite der Stadtbahntrasse, hinter dem Europaplatz, nicht besser. Auch da entstand ein Straßengeviert, das, rein geometrisch besehen, den Titel eines Bahnhofsviertels für sich in Anspruch nehmen könnte – so wie die Straßengevierte auf Sankt Georg in Hamburg oder entlang der Kaiserstraße in Frankfurt am Main.

Leider entstehen auf der verlängerten, vom Verkehr befreiten Heidestraße auch nur Hotels (Amano) oder Firmen­zentralen (50 Hertz, Total) und Bürogebäude (Monnet 4). War der Hauptbahnhof zur Eröffnung 2006 noch ein stolzer Solitärbau, wird er nun von in Beton gegossener Langeweile bedrängt.

Natürlich hat das alles eine Geschichte. Regula Lüscher, Senatsbaudirektorin, könnte sie erzählen und zu ihrer Entschuldigung anführen, dass es ihrem Baukollegium wenigstens gelungen sei, ein paar Fassaden zu verändern. Tatsächlich heben sich das Steigenberger und das Kennedyhaus an architektonischer Qualität deutlich vom Meininger-Hotel ab, das seinerzeit den Anfang gemacht hatte mit dem neuen Bahnhofsviertel.

Touristen und Büroleute

Hauptbahnhof feiern

Die Bahn will den 10. Geburtstag des Hauptbahnhofs zwei Tage lang feiern. Für Freitag und Samstag (27./28. Mai) ist ein Programm mit Straßenkunst, Comedy, Livemusik, Artisten und Speisen aus aller Welt und einem Festakt mit Bahnchef Rüdiger Grube und Verkehrspolitikern geplant. Zum Abschluss sollen klassische und elektronische Musik nicht nur auf einer Bühne vor dem Gebäude, sondern auch im Bahnhof erklingen. Dieser wird bereits vor dem Jubiläum zum Kunstwerk: Die Gruppe Tape That gestaltet die Glasfassade mit Klebebändern in 8 Farben. (dpa)

Und natürlich ist es so, dass unmittelbar an Bahnstrecken kein neuer Wohnungsbau entstehen kann. So bleiben also auch der Europaplatz und der Washingtonplatz ganz in der Hand von Touristen und Büroangestellten. Nur: Warum wurde nicht einmal erwogen, eine der modularen Flüchtlingsunterkünfte in Hauptbahnhofnähe zu errichten? Aber klar, anders als der Bahnhof am Zoo darf der Hauptbahnhof nicht ehrlich sein.

Es gibt auch tolle Ecken. Wie die Freitreppe am Ulap-Park hoch ins Nichts führt, hinter dem dann das Innenministerium und das „Paris–Moskau“ auftauchen, ist großartig. Auf der anderen Seite taucht man an den sogenannten Beamtenhäusern des ehemaligen Zellengefängnisses Moabit in eine Schrebergartenidylle, die einen die Augen reiben lässt. Und an der Heidestraße steht ein Imbiss, der eher wie ein Abenteuerspielplatz aussieht. Aber so wie eine Schwalbe noch keinen Frühling macht, machen auch ein paar Farbtupfer noch kein Bahnhofsviertel.

Am Bahnhof Zoo wurde zuletzt das Beate-Uhse-Haus samt dem Aschinger- und Leineweber-Haus abgerissen. Wenn es der Bahn seinerzeit darum gegangen sein sollte, einen ICE-Gast nie mehr in ein Rotlichtviertel zu entlassen, könnte der Zoo wieder ans Fernverkehrsnetz angeschlossen werden.

Und den Nostalgikern bleiben immer noch Paris und Rom. Ach, wie schön sind Bahnhofsviertel.

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