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„Man muss wahnsinnig genau sein“

Junges Publikum Zum ersten Mal findet das Kinder- und Jugendtheaterfestival „Hart am Wind“ in Hamburg statt. Klaus Schumacher, Leiter des Jungen Schauspielhauses, über eine besonders anspruchsvolle Zielgruppe

Interview Robert Matthies

taz: Klaus Schumacher, warum segelt man „hart am Wind“, wenn man Theater für ein junges Publikum macht?

Klaus Schumacher: Ein junges Publikum stellt sich mit Haut und Haaren dem Augenblick zur Verfügung und ist ganz im Hier und Jetzt. Es ist aber auch ganz klar in der Reaktion und bestraft Langeweile gnadenlos. Da schlägt einem der Wind hart ins Gesicht, wenn ein Stück nicht funktioniert. Anders herum ist es unheimlich beglückend, wenn es funktioniert. In dem Moment, wo man hart am Wind segelt, sind alle eingespannt und es muss alles funktionieren. Aber dann hat man auch das meiste Vergnügen und nimmt am meisten Fahrt auf.

Worauf muss man dabei als Künstler achten?

Es gibt vor allem einen Unterschied zum Theater für Erwachsene: Man übernimmt für dieses Publikum, speziell für das jüngste, Verantwortung. Erwachsene können selbst entscheiden, ob sie eine Situation verlassen und aus dem Theater gehen. Kinder darf man nicht in Situationen bringen, die sie nicht aushalten. Ein einfaches Beispiel: Wenn man Kinder zu lange im Dunkeln lässt, bekommen sie echte Angst und die möchte man natürlich nicht produzieren.

Werden Theatermacher dann zu Pädagogen?

Nein, da hört es schon auf mit der Pädagogik, weil man von da an für dieses Publikum eine Sprache finden muss und das fordert die ganze Intelligenz der Macher. Man muss wahnsinnig genau sein, unheimlich gut spielen und präzise in den Regie-Ideen sein. Das ist faszinierend und für Theatermacher ein Bereich, in dem man viel lernen kann.

Im Rahmenprogramm geht es deshalb auch um die Ausbildung.

Wir haben einen Schwerpunkt, das World Café, wo wir über die Ausbildung für Schauspieler, Regisseure und Dramaturgen sprechen. Es ist wichtig, dass es hier eine Weiterentwicklung gibt, dass die Ausbildungsinstitute zum Thema machen, was diese Sparte kann, und das als Bereicherung verstehen. Weil diese oft junge Protagonisten brauchen, landen viele Absolventen auch in Kinder- und Jugendstücken. Aber in der Ausbildung geht es selten um Formate, die speziell für dieses Publikum gedacht sind. Da ist noch viel Luft nach oben.

Wie können die Institute aufs Kinder- und Jugendtheater vorbereiten?

Man kann über Stoffe sprechen und über ein Repertoire von Möglichkeiten, wie man Geschichten erzählen kann. Und man kann sich damit auseinandersetzen: Wie versteht welche Altersgruppe etwas? Das verlangt eine differenzierte Ausein­andersetzung, auch viele Versuche und viel Gucken. Die Institute sollten viel mehr in Stücke gehen, die für ein junges Publikum gespielt werden. Das Theater ist immer noch der Raum, wo man am meisten Erfahrungen machen kann.

An Stadt- und Staatstheatern wird Kinder- und Jugendtheater längst als eigene Form von Theater anerkannt. Immer mehr Häuser haben eigene Sparten, Sie selbst leiten seit elf Jahren das Junge Schauspielhaus.

Das ist eine tolle Entwicklung, die aber auch aus der Notwendigkeit heraus entstanden ist, ein neues Publikum zu generieren und die Realität und Bandbreite des Publikums ins Theater einzuladen. Vor 20 Jahren gab es hier und da mal ein Kinderstück, heute gibt es Sparten mit eigenen künstlerischen Leitungen, oftmals mit eigenem Ensemble und einem besseren Budget als noch vor Jahren.

Trotzdem sind es noch verhältnismäßig kleine Sparten.

Es ist immer noch so, dass dieser Bereich finanziell bei Weitem nicht so abgebildet wird, wie es der prozentualen Verteilung in der Bevölkerung entsprechen würde. Rund 20 Prozent der Bevölkerung ist unter 18 Jahre alt, die Etats für Kinder- und Jugendkultur liegen aber bei zwei bis drei Prozent. Das ist immer noch unstimmig.

Klaus Schumacher

51, ist Regisseur und leitet die Sparte „Junges Schauspielhaus“ am Deutschen Schauspielhaus.

Eine große Rolle spielt im Kinder- und Jugendtheater auch die freie Szene. Die Hälfte der gezeigten Stücke wurde frei entwickelt.

Das Festival nimmt sich ausdrücklich vor, zur Hälfte Gruppen aus der freien Szene einzuladen und zur anderen Hälfte Staats- und Stadttheaterstücke zu zeigen. Das war von Anfang an eine Programmatik, weil die sogenannte freie Szene unheimlich viel ackert, unheimlich viel erfindet und sehr viele Produktionen entwickelt. Deshalb ist es angemessen, dass das Festival gemeinsam von den Staats- und Stadttheatern und der freien Szene ausgerichtet wird.

Das Festival zeigt 13 norddeutsche Produktionen aus den vergangenen zwei Jahren. Gibt es neue Entwicklungen?

Politische Themen schlagen sich deutlicher nieder als noch vor zwei Jahren, weil auch Kinder- und Jugendtheater die Gesellschaft abbildet und die hinterfragt sich derzeit mehr. In Stücken wie „Ich rufe meine Brüder“ oder „Funny Girl“, aber auch in anderen Formaten geht es viel darum, die Gesellschaft neu zu bestimmen. In „Die Konferenz der wesentlichen Dinge“, einem meiner Lieblingsstücke, geht es darum, wie die Kinder sich eine Familie und die Gesellschaft vorstellen. Da werden Kinder animiert mitzu­bestimmen und mitzuentwerfen.

Spielt Partizipation auch in der Entwicklung der Stücke eine Rolle?

Bei uns werden vor allem Formate gezeigt, in denen Erwachsene etwas erarbeiten, um es Kindern zu zeigen und mit Kindern ins Gespräch zu kommen. Es gibt kein Stück, wo Kinder selbst spielen, weil es auch um Profession geht, um eine Weiterentwicklung und eine hohe Qualität im Spiel und in der Behauptung, die Theater ja immer auch ist. Dafür braucht es Leute, die gut ausgebildet sind, es tagtäglich machen und viel Erfahrung mitbringen.

„Hart am Wind“: Mi, 25. 5., bis So, 29. 5. im Jungen Schauspielhaus, Malersaal, Thalia in der Gaußstraße und in der Schule Bahrenfelder Straße

www.schauspielhaus.de, www.lichthof-theater.de

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