piwik no script img

Die Prügelknaben der Nation

Frankreich Beim Kampf um die umstrittene Arbeitsmarktreform demonstrieren jetzt auch Polizisten gegen ihre miesen Arbeitsbedingungen. Damit sind sie nicht mehr weit entfernt von den anderen Demonstranten

Aus Paris Rudolf Balmer

Die Gegner der Arbeitsmarktreform in Frankreich streiken weiter oder blockieren mit Lkws Straßen und Treibstoffdepots. Die Kundgebungen am Dienstagabend waren erneut von Gewalt überschattet. In Paris, Rennes, Nantes und Lyon gab es am Rand der Demonstrationen gewaltsame Zusammenstöße mit den Ordnungshütern. In der Hauptstadt wurden Polizisten mit Molotow-Cocktails und Pflastersteinen beworfen. Staatspräsident François Hollande machte dafür Gruppen von sogenannten „casseurs“ (Chaoten) verantwortlich. Die Stimmung ist gereizt.

Die Gegner der Reform haben das Gefühl, dass sich die Staatsführung über ihre Proteste hinwegsetzt. Hollande hat nochmals gesagt, er wolle nicht nachgeben. Die zunehmende Gewalt bei den Kundgebungen entspricht darum auch einer großen Wut über das Vorgehen der Regierung. Sie hat auch einiges mit der wachsenden Nervosität der Ordnungshüter zu tun.

Viele Polizisten haben die Nase voll. Aus diesem Grund haben am Mittwoch Polizisten auf dem symbolischen Pariser Platz der Republik demonstriert. Sie sollen rund um die Uhr ohne Rücksicht auf Familie und Freizeit für öffentliche Sicherheit sorgen. Immer häufiger werden sie bei ihren Einsätzen von gewalttätigen Demonstranten attackiert. Wenn sie aber selbst zum Angriff übergehen, werden sie der Willkür und Brutalität beschuldigt. Die Polizeibeamten sprechen von Ressentiments und benutzen dafür das Schlagwort „haine anti-flics“ (Hass auf die Polizei).

Ihr Job ist undankbar. Sie müssen den Kopf hinhalten, wenn militante Demonstranten die Konfrontation suchen. Doch lässt das Image der „flics“ generell zu wünschen übrig. Heute gibt es überall Videokameras, die filmen, wenn Polizisten mit gewalttätigem Übereifer dreinschlagen und dabei oft nicht zwischen Provokateuren und Unbeteiligten unterscheiden. Diese sehr mobilen Gruppen von vermummten „casseurs“ existieren, sie mischen sich unter die Demonstranten und gehen dann aus der Deckung mit Wurfgeschossen gegen die Bereitschaftspolizei CRS vor.

Die eskalierende Gewalt bei den Protesten gegen die Regierungspolitik hat wiederum dazu geführt, dass viele Leute aus Angst davor gar nicht mehr an den Kundgebungen teilnehmen. Nur zu leicht wird ein völlig friedlicher Demonstrant mit den „casseurs“ verwechselt.

18 Millionen Überstunden der Polizei ohne Lohn- oder Urlaubsausgleich

Es ist ratsam, sich bei Demonstrationen von den „robocops“ der CRS fernzuhalten. Deren schlechter Ruf ist ja nicht neu. Den aus der Zeit der Straßenkämpfe im Mai 1968 datierenden Slogan „CRS – SS“ rufen Demonstranten auch noch heute, wenn die Polizei mit Tränengas und Knüppeln angreift. Auch der utopische Appell zur Fraternisierung „Les CRS avec nous!“ stammt aus dem Mai 68. Er ist aber von den Demonstranten eher ironisch gemeint.

Die Imagepflege ist allerdings nicht das einzige Anliegen bei den Kundgebungen der Polizisten. Ihr Pflichtbewusstsein wird auch wegen des Notstands mit den zusätzlichen Aufgaben im Kampf gegen terroristische Bedrohung strapaziert. Zudem dürfen die Beamten wegen der Einsätze bei der Fußball-EM im Juni und Juli nicht wie gewohnt ihren Urlaub nehmen. Das Ergebnis: 18 Millionen Überstunden. Diese kann ihnen das Innenministerium aber nicht finanziell vergüten. Und für eine Kompensation durch freie Tage gibt es zu viel zu tun.

Mit ihren materiellen Forderungen sind die demonstrierenden Polizisten eigentlich nicht weit entfernt von den Motiven der Bürger, die auf der Gegenseite gegen die umstrittene Revision des Arbeitsrechts protestieren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen