heute in Bremen: „Neue Rituale etablieren“
VORTRAG Historikerin Hélena Tóth zeichnet Besonderheiten der DDR Bestattungskultur nach
36, Historikerin, stammt aus Budapest, Promotion an der Harvard University mit einer Arbeit über Erfahrungen des politischen Exils, lehrt seit 2014 als akademische Rätin an der Uni Bamberg.
taz: Frau Tóth, bei Margot Honneckers Trauerfeier wurde ein schlesisches Volkslied gesungen: War das typisch DDR?
Heléna Tóth: Es fällt zumindest nicht aus dem Rahmen: Volkslieder wurden fürs weltliche Projekt vereinnahmt. Allerdings, was typisch DDR war, lässt sich kaum sagen. Es gab riesige Unterschiede zwischen den einzelnen Regionen, zwischen Stadt und Land und es gab auch einen erheblichen Wandel zwischen 1949 und 1989
Wieso, hatte der Staat nicht auch private Feiern geregelt?
Er hatte das vor. Aber dazu unterschiedliche, teilweise gegensätzliche Strategien: So wollte man Ende der 1950er Jahre tatsächlich die Feiern vereinheitlichen und neue Rituale etablieren. Aber das funktionierte nicht. Später versuchte man eher, Traditionen zu vereinnahmen.
In Konkurrenz zur Kirche?
Das ging sogar noch weiter: Ende der 1970er hat das Zentralhaus für Kulturarbeit eine Broschüre zur Bestattung herausgegeben – mit Bibelzitat auf dem Cover.
Huch?!
Ja. „Der Tag hat sich geneiget“ steht auf dem Titelblatt, das ist aus dem Lukas-Evangelium.
Aber 1977 hatte doch – am 18. 5., heute ist ein Jahrestag! – das Politbüro beschlossen, „Feiern aus persönlichem Anlass“ fester in den Griff zu kriegen…?
Man muss das nicht als Zeichen der Schwäche deuten. Man kann auch sagen, dass sich der Staat seiner Sache so sicher fühlte, dass er Auszüge aus der Bibel ohne Probleme wieder zulassen konnte: Dann wäre es ein Zeichen dafür, dass die Religion als besiegt angesehen wurde. Es gab durchaus Familien, die sich eine weltliche Bestattung wünschten, aber trotzdem mit einem Bibelzitat – als einen Spruch aus einem sehr guten Buch.
Man setzt auf erprobte Rhetorik – auch weil Leichenredner eine der vielen Mangelwaren der DDR waren?
Das war ein großes Problem für die SED, und zwar nicht nur eines der Quantität, sondern auch der Qualität. Schlechte Grabreden führten oft zu Beschwerden und die Verantwortlichen wussten genau: Wenn wir uns am Grab blamieren, bleibt das lange haften. Es gibt dafür auch kreative Lösungsansätze, zum Beispiel die Ausbildung von Rednern in den großen Betrieben…
Die Betriebsakademien?
Genau. Die Idee war, dass die dann bei den Todesfeiern von Betriebsangehörigen reden sollten. Das wollte aber keiner machen. In Leipzig hat man deshalb zeitweise versucht, evangelische Pfarrer als Redner bei säkularen Totenfeiern zu engagieren.
In ihrem Vortrag sprechen sie auch Totenmasken an: Hatten die eine besondere Bedeutung?
Überraschenderweise ja: Ab Mitte der 1950er werden Totenmasken der Helden des jungen Staates wichtig, aber schon 1946 gibt es eine intensive Debatte um die Totenmaske von Karl Liebknecht.
Direkt nach SED-Gründung?
Ja, es ging darum, die zu erwerben. Das wird gleichzeitig mit vielen wirklich entscheidenden organisatorischen Fragen debattiert: Tagesordnungspunkte sind Entnazifizierung, der Standort der künftigen Parteizentrale – und der Ankauf von Liebknechts Totenmaske.
interview: bes
Trost und Totenmasken – Sepulchralkultur der DDR, Uni Bremen, SFG, Raum 2060 18 Uhr
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